08.09.2017

Licht in den Tempel!

Oder: wie christlich ist Laufenbergs „Parsifal“?

von: Dr. Andreas Ströbl / Lübeck / 29.08.2017

Noch brennen die Kerzen auf Barcelonas Flaniermeile, den „Ramblas“, die an den grausamen Terroranschlag vom 17. August gemahnen. Eigentliches Ziel der besessenen Attentäter war die „Sagrada Familia“, jenes Gesamtkunstwerk, in dem sich Neogotik und Jugendstil glücklich vermählt haben. Gaudis Kathedrale ist als großartige Huldigung an die Schöpfung und steingewordenes Oratorium das Werk eines Christen mit ausgeprägter Spiritualität.

Gilt das auch für Wagners „Weltabschiedswerk“, zumal in Uwe Eric Laufenbergs – noch – aktueller Bayreuther Inszenierung? Krieg und Terror bilden den Hintergrund für diesen „Parsifal“ und erscheinen leitmotivisch als Gestaltungselemente.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick empfindet Laufenbergs Inszenierung als „für einen Christen anstößig“ und wirft dem Regisseur vor, nicht im Sinne Wagners gehandelt zu haben.

Es ist immer recht einfach, wenn man scheinbar eindeutige Gedanken und Haltungen von Künstlern annimmt und diese dann für eigene Positionen instrumentalisiert. Hier lohnt ein Blick auf des Meisters ausgesprochen differenzierte Religiosität, wobei man bei Wagner zusätzlich immer auf Widersprüchliches gefaßt sein darf. Tatsächlich spricht er mal vom „gift der religion“, an anderer Stelle bringt er seine Freude zum Ausdruck, „so hartnäckig auf dem christlichen Standpunkte gestanden zu haben“. Auf den Vorwurf spiritueller Beliebigkeit hätte Wagner sicher mit Eva aus den „Meistersingern“ entgegnet: „Hier gilt´s der Kunst!“, denn, wie Claus Dieter Osthövener so deutlich herausgearbeitet hat, war Wagner bzw. seine Kunst exakt dann christlich, „wenn es dem jeweils zur Darstellung drängenden Gedanken diente.“

Das gilt vor allem für seine letzte Oper. Zu den zentralen Elementen Taufe und Abendmahl im „Parsifal“ gehört versöhnend und beschließend die Auferstehungshoffnung im Karfreitagszauber. Daß diese allerdings schon im ersten Aufzug thematisiert wird, scheint bislang noch zuwenig beachtet worden zu sein. „Treu bis zum Tod“ wollen die Gralsritter sein, wenn sie den Leib Christi zu sich nehmen, um ihn „kühn zu Leibes Kraft und Stärke“ zu wandeln – die Wandlung wird hier also durch den Gläubigen selbst vorgenommen, was einen subjektivierten Protestantismus durchscheinen läßt. Diese Treue in der Assoziation mit den Worten „kühn“ und „fest“ in der Textstelle „fest jedem Mühn, zu wirken des Heilands Werke!“ erscheint martialisch-männerbündlerisch, verweist aber auch auf die Johannesoffenbarung, 2,10: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“. Es geht hier also weniger um religiösen Kadavergehorsam, als vielmehr um die Hoffnung auf das ewige Leben. Wagner ist der Meister der Mehrschichtigkeit und das hat Laufenberg im Innersten begriffen.

Der Regisseur konnte sich in den Kritiken einiges anhören, von den Vorwürfen der Islamfeindlichkeit, über die dramaturgische Pervertierung des Abendmahls bis zur Oberflächlichkeit und Albernheit. All diese Stimmen haben die Inszenierung nicht verstanden, haben nicht, um mit Gustav Mahler zu sprechen, das wahrgenommen, was „nicht in den Noten“ steht.

Dieser „Parsifal“ ist voller Geniestreiche, deren einer die völlig neuartige Darstellung der Schwanenszene ist. An die Schwanentötung hat man sich dermaßen gewöhnt, daß nur derjenige Mitleid mit dem armen Tier hat, der die Oper zum ersten Mal sieht. Das hier von Wagner thematisierte hinduistisch-buddhistische Prinzip des Ahimsa, also der religiös-sittlich begründeten Gewaltlosigkeit, hat nach 135 Jahren „Parsifal“ spürbar an Brisanz verloren und ist nicht anrührender als sänge man „Der Schwan ist tot, der Schwan ist tot“. In Kombination mit dem tot zusammenbrechenden Flüchtlingskind aber wird klar, daß es hier um echte Opfer von Krieg und Flucht geht. Diese Kundry zeigt wahres Mitleid – und darum geht es zentral im „Parsifal“. Wer bei dieser Szene nicht weich wird, ist ein grober Klotz.

Ebenso nahe geht es dem Zuschauer, wenn die Gralsritter den geplagten Amfortas anzapfen, ja ihn sakral ausmelken. Ryan McKinny stöhnt so authentisch leidend, wenn ihm das Messer in die Seitenwunde gestoßen wird, daß man ihm tiefsten Schmerz abnimmt. Das Bild des nahezu ausblutenden Christus/Gralskönigs macht deutlich, wie die mittelalterlichen Darstellungen von Jesus als Schmerzensmann auf die Gläubigen gewirkt haben mögen. Das ist kein inflationäres Blutvergießen, man empfindet Fremdschämen für die blutgierige Gemeinschaft. Und eben aufrichtiges Mitleid mit Amfortas.

Genial ist auch die endlich einmal gelungene Verarbeitung des Satzes „Zum Raum wird hier die Zeit“, über den man hätte trefflich mit Einstein oder Heisenberg diskutieren können. Der Flug ins All und zurück dürfte als einer der intelligentesten Einfälle zu dieser immer noch vielfach deutbaren Textstelle in die Dramaturgiegeschichte eingehen.

Mißverstanden wurde auch der Klingsor-Aufzug und es war von vornherein abzusehen, daß die Kritiker sich vor allem auf das verschwindende Detail des Penis-Kreuzes stürzen würden. Das ist ebenso platt wie die Reduktion von Darwins Theorien auf den nicht einmal korrekt wiedergegebenen Satz, daß der Mensch vom Affen abstamme. Laufenbergs Klingsor ist zerrissen, suchend, planlos. Er schwankt zwischen Fundamentalismus und dem Sammeln von Trophäen. Seine Mittel sind dementsprechend durchschaubar: die Blumenmädchen sind erst dann wirklich verführerisch und überraschend, wenn sie ihre wahre Gestalt zeigen und das tun sie durch das Ablegen des Niqab und die Verwandlung in viele bezaubernde Jeannies. Nachdem sie den Toren seiner Kleider entledigt haben – der Sänger hat am Ende tatsächlich nichts mehr an, was aber mit feiner Diskretion auf die Bühne gebracht wird – versuchen sie ihn im Bassin des Hamam auf die schiefe Bahn zu bringen. Nebenbei: Kaum einem dürfte das Wortspiel der Verwandlung vom „Haram“ zum „Hamam“ aufgefallen sein.

Hier folgt ein weiterer Geniestreich der Regie: Kundry tauft Parsifal – sie nennt ihn nicht nur beim Namen (Jesaja 43,1 – „ich habe dich bei deinem Namen gerufen“), sondern taucht ihn auch unter. Das tut sie unbewußt und bereitet so ihre Aufnahme in die christliche Gemeinschaft im dritten Aufzug vor. Das Element des Unbewußten ist ein genuin Wagnerisches – man hätte hier nicht treffender inszenieren können.

Wagner hätte uns sicher um unsere filmischen Möglichkeiten beneidet. Das Bild des von Klingsor geschleuderten Speeres, der über Parsifals Haupt schwebend zum Stehen kommt, kann man eigentlich nur im Trickfilm bzw. in der Computeranimation darstellen. Hier aber passiert etwas ganz anderes: Parsifal nimmt dem Zauberer die Waffe einfach aus der Hand, bricht gleichsam den Stab über ihn und macht die Lanze zum Kreuz.

Dieses Kreuz ist ein wahres, ein wirkmächtiges Kreuz, da es aus einer Berührungsreliquie besteht – die gewandelte Lanze hat ebenso unbarmherzig in Christi Seite gesteckt wie der Dolch bei Amfortas im ersten Aufzug. Die anderen Kruzifixe aus Klingsors Sammelbude fallen herab, da sie eben nur inhaltslose Trophäen und durch inflationären Gebrauch wertlos gewordene Symbole sind. Auch das hat die Kritik vielfach nicht verstanden.

Nicht minder gilt das für den dritten Aufzug mit den übergroßen, durch die Ruine gewachsenen Pflanzen und der bewußt überzeichneten Paradiesszene im Hintergrund. Die Natur ist groß, größer als die wie Käfer scheinenden Menschen, und wird diese überdauern. Auch ihre Vorstellungen vom Paradies. Da darf man gerne ein bißchen mit Rousseau spielen und zwar mit dem Philosophen wie mit dem Maler.

Das Stärkste aber kommt zum Schluß. „Kinder, macht Neues!“, ist eines der sympathischsten Zitate Wagners und so wird hier sein Beleuchtungsprogramm einmal umgedreht. Es war ihm ein wesentliches Anliegen, das Licht im Zuschauerraum so zu dämpfen, daß sich das Publikum allein auf das Bühnengeschehen konzentrieren konnte. Eingeleitet wird dies durch das Ablegen der unterschiedlichen religiösen Symbole in den Sarg Titurels, der nur noch Staub enthält. Wohlgemerkt: die Symbole werden entsorgt, nicht die Religion oder das Göttliche an sich.

Aus dem Bühnenhintergrund nun erstrahlt Licht durch den Gralstempel, das wie warmes Tageslicht wirkt. Dieses Licht wird von der Beleuchtung des Festspielhauses aufgenommen, verbindet den einen Tempel mit dem anderen und umarmt das Publikum zu einer unio mystica. Nun darf assoziiert und selber gedacht werden: „es werde Licht!“, das Licht der Welt als Christusmetapher, das Licht der Aufklärung? Vor diesem großartigen Einfall wirkt die früher so gerne verwendete Taube am Bindfaden wie ein Schießbudenvogel.

Flache Lösungen im Sinne eines christlichen Mainstreams vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen über Religionen, Extremismus und Terror wären oberflächliche Angebote in solch einer vielschichtigen und intelligenten Inszenierung gewesen. Dann hätte Laufenberg auch eine – ebenfalls fast immer nicht wirklich verstandene – deutsche Lieblingsikone wie Caspar David Friedrichs „Kreuz im Gebirge“ als Schlußbild verwenden können.

Es steht dem Zuschauer nun frei, wie er mit diesem lichten Moment umgeht. Die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong nennt einen „mystischen Agnostizismus“ als mögliches Modell einer religiösen Offenheit, die aber ein dogmatisches Selbstvertrauen verhindern kann. Laufenberg läßt aber auch einen anderen Schluß zu: Gott ist groß. Größer als jede Religion.

08.09.2017

Licht in den Tempel!