Don Karlos
Spielzeit 2016.2017
Astrid Biesemer, Frankfurter Neue Presse
Uwe Eric Laufenberg und seinem Ensemble ist es hervorragend gelungen, die aus diesen vielschichtigen Interessenslagen entstandenen komplexen Charaktere fein auszuloten. Das Bühnenbild von Gisbert Jäkel entwirft dafür das Bild eines düsteren und auf Funktion ausgerichteten Palasts, der nur in den ganz privaten Räumen hell ist. Obwohl alle bis auf Philipp dezent historisierende Kostüme tragen (Kostüme: Marianne Glittenberg) und sich an dem in Jamben verfassten Schillerschen Versdrama nicht vorbeimogeln können, wirken die Figuren verblüffend heutig.
Allen voran der von Tom Gerber gespielte König Philipp. Zwar ist die Kirche mit ihren machtpolitischen Interessen stets präsent, dennoch könnte Philipp in seinem Anzug auch moderner Politiker oder Unternehmens-Chef sein. So kühl, wie er anfangs den König gibt, der gegenüber dem Sohn den Vater vermissen lässt, und zeigt, dass er auch seine Frau als Teil seines Machtbereichs ansieht, so sehr hört er später Posa ernsthaft und abwägend zu, und so sehr bricht am Ende in ihm der Mensch mit der eigenen Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe durch.
Andreas Pecht, Rheinzeitung
Laufenberg bleibt bei dieser Konstruktion der Wechselwirkung zwischen Privatem und Politischem. Er lässt Schillers Blankvers-Text ohne modern-interpretatorische Eingriffe für sich selbst sprechen – zu Recht darauf vertrauend, dass das Stück von 1787 zwar einen konkreten Fall verhandelt, dessen Exemplarität aber in ihrer überzeitlichen Bedeutung bis in die Gegenwart verstehbar ist.
Jürgen Berger, Süddeutsche Zeitung
Als im Sommer nach der Premiere seines „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen viele Kritiker die Inszenierung alles andere als goutierten, attestierte er ihnen, sie seien nicht in der Lage, einen Theater- oder Opernabend unvoreingenommen zu betrachten. Uwe Eric Laufenberg ist Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade auf den Mund gefallen. Er traut sich auch künstlerisch einiges zu. Nachdem er auf dem Grünen Hügel Wagners „Bühnenweihfestspiel“ inszeniert hat, war nun in seinem eigenen Haus das nächste dramatische Schwergewicht an der Reihe: „Don Karlos“, Schillers Ideendrama, mit dem dieser kurz vor der Französischen Revolution auf einen anderen dramatischen Wendepunkt der europäischen Geschichte zurückblickte.
Starke Momente hat der Abend, sobald Karlos durch die Gemächer des spanischen Hofes irrt. Nils Strunk ist ein durchaus schnippischer, dann wieder wankelmütiger Kronprinz. Fühlt der spanische König dem Marquis von Posa auf den Zahn, sieht man, was aus der Inszenierung hätte werden können. Mit Tom Gerber (Philipp II.) und Stefan Graf (Posa) treffen zwei Taktiker des diskursiven Gefechts aufeinander, die zeigen, dass Texttreue nicht unbedingt eine Aufforderung an den Regisseur sein muss, Szene für Szene abzuarbeiten.
Matthias Bischoff, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Tom Gerber spielt den Philipp eindringlich ambivalent, mal eiskalt berechnend, mal vor hochmütigem Zorn schier berstend, dann bibbernd, schwach und liebesbedürftig. Er ist von allem etwas, das macht seine Gefährlichkeit als Tyrann und sein Scheitern als Mensch aus. Nils Strunk als Carlos und Stefan Graf als Posa spielen die beiden sich in letzter, bitterer Konsequenz so außerordentlich ähnlichen Feuerköpfe wie unter Dauerstrom.
Zu den zahlreichen Vorzügen von Uwe Eric Laufenbergs „Don Karlos“ zählt, dass das, was eine Tragödie im Kern ausmacht, nämlich nicht der Zusammenprall von Gut und Böse, sondern von verschiedenen, im Kern gleich guten Beweggründen, hier geradezu mustergültig entfaltet wird. Das ist im besten Sinne altmodisch und konventionell, verzichtet auf Regietheatereitelkeiten und gibt den Schauspielern das Stück gleichsam zurück. Selbst der Geschlechtsverkehr zwischen Carlos und der aus sehr nachvollziehbaren Gründen intriganten Prinzessin Eboli (Kruna Savić) sowie Philipps eben nicht nur metaphorische Blöße sind keine aufgesetzten Schockeffekte der Regie, sondern injizieren dem Abend genau die nötige Dosis Moderne.
Viola Bolduan, Wiesbadener Kurier
Das Schlussbild ist grandios.
Kein Aufbruch in die Zukunft, sondern Liebesleid, Intrige und Konflikt der Egoismen in der Friedhofsruhe Spaniens. Bühnenbildner Gisbert Jäkel stellt atmosphärisch stimmig Ferien-Idylle, höfisches Duster, verführerisches Boudoir und königliches Arbeitszimmer in bühnenweite strenge Bilderrahmen. Der Regisseur und er trennen genial offene Szene und kammerspielartiges Privatim durch klemmende, löchrige Zwischenwände. Und noch einmal ein köstlicher Einfall: Wenn Philipp II. die Bühne betritt, sitzt er. Auf einer Museumsbank und spiegelt sich in seinem Tizian-Porträt. Er übrigens darf dunkelgrauen Zweireiher tragen (Kostüme Marianne Glittenberg), die anderen Figuren sind leicht historisierend, immer edel – ob schwarz (Gehrock) oder rot (natürlich die perfide Eboli) – gekleidet. Zum Schluss freilich ist Philipp – entblößt von Machtinsignien und Menschlichkeit – ein nackter Mensch.
Den Prozess vom einsamen Machtinhaber zum enttäuschten Menschen durchläuft sein Darsteller Tom Gerber auf allen Stufen bravourös mit Kraft. Königin Elisabeth ist mit Llewellyn Reichman gleichbleibend schön und stark – der einzige untadelige Charakter („Ich schätze keinen Mann mehr“) und Kruna Savic als Rivalin Eboli attraktiv vital und so durchtrieben verführerisch, dass Karlos ihr nicht widersteht.
Die eigentliche Hauptfigur des Dramas, Schiller als Marquis Posa, verkörpert Stefan Graf mit schön gebrochener Leidenschaft und einem Pathos wie nebenbei. Militärische Statur nimmt Rainer Kühn als Alba ein; Benjamin Krämer-Jenster ist als Beichtvater Hinterhältigkeit pur, und schließlich präsentiert Monika Kroll scharf und unerbittlich die Menschenverachtung des Großinquisitors, triumphierend im Schlussbild als Pietà-Negation vor den Ruinen unserer Tage. Ziemlich viel Jubel im langen Applaus.
Dr. Josef Becker, Bild
Nils Strunk als Carols zeigt beeindruckend frisch den beschränkten 23-jährigen. Kruna Savić lässt sich als verführerische Eboli begatten. Tom Gerber zieht als kalter König blank. Llewellyn Reichmans keusche Königin taucht ihr langes Haar dekorativ ins Wasser. Stefan Graf hat als Posa große Momente. Grandios, wie beiläufig er Gedankenfreiheit einfordert.