Idomeneo
Spielzeit 2018.2019
Internationale Maifestspiele 2019
Spielzeit 2021.2022:
01. April 2022 - Wiederaufnahme
10. / 15. April 2022
13. Mai 2022 / Mozart-Zyklus - Internationale Maifestspiele (IMF)
20. Juli 2022
Axel Zibulski, FAZ
Gnade als Gewalt - Parallelen: Eine Doppelproduktion der mozart-Opern "Idomeneo" und "La clemenza di Tito" eröffnet die Internationalen Maifestspiele im Staatstheater Wiesbaden.
Zehn Jahre liegen zwischen der Uraufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Opern "ldomeneo", 1781 in München erstmals zu erleben, und "La clemenza di Tito" im Todesjahr 1791 entstanden. Dazwischen stel1te die Französische Revolution Macht- und Gesellschaftsmodelle so grundlegend wie real in Frage. Mozart selbst komponierte innerhalb dieses bewegten Jahrzehnts seine drei bedeutenden Opern auf Libretti von Lorenzo da
Ponte, von der "Hochzeit des Figaro" über "Don Giovanni" bis zu "Cosi fan tutte". Den Rahmen, den "Idomeneo" und "Titus" bilden, hat Wiesbadens Intendant Uwe Eric Laufenberg nun zum Ausgangspunkt einer Doppelinszenierung genommen und damit die Internationalen Maifestspiele eröffnet; am ersten Abend stand der König Kretas, am zweiten so-
dann der römische Kaiser im Mittelpunkt.
Die Doppelpremiere suggerierte Parallelen, zumal beide Herrscherpartien in den Premierenvorstellungen mit demselben Tenor, mit Mirko Roschkowski, besetzt waren; außerdem zeichnete beide Male das Ehepaar Marianne und Rolf Glittenberg für die Kostüme und das Bühnenbild verantwortlich. Ein einziger großer, rechteckiger Herrschaftssaal prägt in beiden Produktionen die Szene; in "Idomeneo" ist er zunächst heftig verwüstet, in den hinteren Palastwänden geben Kriegsschäden den Blick auf das Meer frei. In "Titus" dagegen wirkt alles wohlgeordnet, schon während der Ouvertüre huschen Anzugträger als offenbar brave Staatsdiener über jene breite Treppe, die hier die Bühnenmitte prägt. Wie passend: Das Nachkriegsszenario in "Idomeneo" korrespondiert mit der vielfach impulshaft erschütterten Form, während "Titus" konzentriert, ausgereift und meisterhaft wirkt.
In "Idomeneo" muss der Herrscher den härtesten Konflikt der Handlung selbst aushalten, hat er, den sein Volk und seine Familie schon für tot halten, doch Poseidon als Dank für eine glückliche Heimkehr versprochen, den Göttern den ersten Menschen zu opfern, dem er an Land begegnet. Das allerdings ist sein eigener Sohn ldamante, und so bietet sich ldomeneo erst selbst als Opfer an, später will Ilia für ihren Geliebten Idamante sterben, bevor schließlich ein völlig überraschendes Happy End allen Beteiligten das Leben schenkt. Titus dagegen gibt mit seiner Milde und Nachsicht die Konflikte ebenso gnädig an andere ab, an seinen Vertrauten Sesto, auch an die eifersüchtige Vitellia, die Sesto zum Attentat auf den Kaiser anstiftet und den Gang der Revolte nicht mehr aufhalten kann. als sie erfährt, dass der gewogene Titus sie sehr
wohl heiratet. Obwohl hier das von der Vergebung des Herrschers motivierte glückliche Ende weit eher auf der Hand liegt, greift Laufenberg mit berechtigten Zweifeln ein und lässt Vitellia am Ende in Titus' Armen zusammenbrechen. Auch Gnade kann vernichten.
Insgesamt freilich vertraut Laufenberg auf die soliden Rahmenbedingungen beider Abende, erzählt weitgehend linear und mit schlüssiger Personenführung an den Handlungsverläufen entlang, nutzt die optische Stärke der Ausstattung, lässt auch Konrad Junghänels Dirigat genügend Raum, das auf zügige und beredte Klarheit setzt.
Die Frage, wie viel Titus in Idomeneo steckt und wie viel vorn Kreterkönig im römischen Kaiser, ist leichter gestellt als beantwortet: Zu den Ouvertüren der beiden Opern werden Videozitate aus der jeweils anderen Produktion eingespielt. In "Titus" sorgen die Projektionen außerdem für eine ordentliche Portion Lokalkolorit: Der Anschlag auf dem Kapitol wird als Bombenexplosion im benachbarten Kurhaus fingiert, nachdem Sesto seine Zweifel vor der Tat ausgerechnet in der Kaiserloge des Zuschauerraums artikuliert hat. Dass der verhaftete Sesto später Guantanamo-Orange trägt, ist ein längst ebenso oft bemühtes Bild wie in "Idomeneo", das eines aus dem Meer getragenen toten Jungen.
Dass sich alle Sängerdarsteller um die Charakterisierung ihrer Figuren verdient machen, gehört zu den Stärken der Doppelpremiere. Mutig wirkt die Besetzung beider Herrscherpartien mit dem Tenor Mirko Roschkowski, der sehr lyrisch, sehr klangschön, als Idomeneo aber nicht immer mit der letzten Koloraturensicherheit und als Titus nicht immer mit äußerstem Nachdruck singt. Im griechischen Teil der Doppelproduktion gibt Kangmin Justin Kim den Idamante mit kräftig durchsetzungsstarkem Countertenor, betörend sinnlich gestaltet Slávka Zámečníková die Ilia, mit vokalem Furor Netta Or die Rolle der Elettra. Der Wiesbadener Opernchor wird seiner großen szenischen Präsenz an beiden Abenden in geschliffener Weise gerecht; im römischen "Titus" gibt Silvia Hauer einen gediegen-geschmackvollen Sesto, während Olesya Golovneva mit Drastik ihres Mozart-Gesangs fragen lässt, wieviel Elettra eigentlich in ihrer Vitellia stecken darf.
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
Der doppelte Herrscher
Die Maifestspiele in Wiesbaden eröffnen mit Mozarts ernsten Opern „Idomeneo“ und „Titus“.
Herrscherdramen sind Stücke zur Stunde, wenn Politiker versagen oder zu versagen scheinen. Zur Warnung, zur Ermutigung, zur Information. Interessant, dass es den Wählern womöglich angenehmer ist, nicht selbst ins Zentrum der Kritik zu geraten, denn weder in den Stücken Shakespeares noch in den großen ernsten Opern von Wolfgang Amadeus Mozart hat das Volk besondere Mitspracherechte.
Es darf aber singen, vor allem in „Idomeneo“. Zusammen mit „Titus“ („La Clemenza di Tito“) wurde das Werk nun zu einem Mozart-Doppel verbunden, das an zwei aufeinanderfolgenden Abenden die Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden eröffnete. Zwei Herrscher in prekären Situationen, die sich hier jedoch redlich Mühe geben, das Richtige zu tun, und dabei unter der Bürde über alle Maßen leiden, zwei Schmerzensmänner also auch (Titus wird auf der Treppe hängen wie Jesus am Kreuz). Noch dazu Tenöre. Einer soll den eigenen Sohn töten, weil er in Lebensgefahr den Göttern ein unkluges Versprechen gab. Einer soll selbst sterben, weil eine enttäuschte Frau ein rachedurstiges Komplott lanciert. Die Frau hat zugleich ein schlechtes Gewissen, alle haben abwechselnd ein schlechtes Gewissen oder leiden unter der schlechten Behandlung durch andere, es ist ein Jammer.
Die Grundidee, beide Stücke in einen Zusammenhang zu bringen, überzeugt also sofort. Das Staatsorchester unter Konrad Junghänel: Bewundernswert in der detail- und strukturreichen Herangehensweise, die nicht nur durch Hammerklavier und hervorgehobene Klarinette – der exzellente Solist mit auf der Bühne – einen modernen Einschlag bekommt.
Zur „Idomeneo“-Ouvertüre sieht man den Herrscher beider Abende, Mirko Roschkowski, in einem Video (Gérard Naziri) immer wieder eine große Treppe hinaufschreiten. Ist er oben angekommen und wähnt sich am Ziel – nach oben, Herrscher und Marienkäfer wollen immer nach oben –, muss er feststellen, dass die Treppe wieder auf ihn wartet. Der Alptraum eines Machthabers. Das Bühnenbild (Rolf Glittenberg) zeigt für „Idomeneo“ dann ein versehrtes Gebäude, das Loch lässt aufs blaue Meer schauen, welches sich zu den Arien aufgebrachter Menschen sowie zu Neptuns Wutanfällen schaurig aufwirft.
Dann aber, zum „Titus“, ist das Treppenhaus aus dem Vorspiel das reale Bühnenbild. Der Alptraum könnte inzwischen wahr geworden sein – dazu würde passen, dass die Kostüme (Marianne Glittenberg) von zeitloser Folklore in eine schicke Jetztzeit gewechselt haben. [...]
Roschkowski als personelle Klammer singt ein zartes, aber feines Herrscherdoppel. Vor allem sind es die Abende der Sopranstimmen: Man hört im „Idomeneo“ Netta Or als Elettra, Slávka Zámecníková als Ilia und den Counter Kangmin Justin Kim als Idamante, die ein regelrechtes, fast etwas eintöniges Klangtrio bilden. Ähnlich verhält es sich im „Titus“, nun mit Olesya Golovneva als Vitellia, Shira Patchornik als Servilia und Silvia Hauer als herausragendem Sesto.
Auch in Wiesbaden war der gute Ausgang des „Titus“ der Regie offenbar unheimlich. Diesmal ist es Vitellia, die Gift trinkt. Das Gift sieht ebenfalls schön aus.
Volker Milch, Wiesbadener Kurier
Gnade schließt Folter nicht aus - Mozarts Opern „Idomeneo“ und „Titus“ eröffnen als ambitionierte Doppel-Premiere die Maifestspiele
Das Mozart-Doppel, das Laufenberg inszeniert hat, zeigt also nicht nur musikalische Stärken wie ein plastisches, historisch geschärftes Klangbild in Konrad Junghänels energischem Dirigat. Im Bühnenbild von Rolf Glittenberg (und mit der delikaten Ethno-Anmutung der Kostüme von Marianne Glittenberg) gelingt schon am Anfang von „Idomeneo“ mit der Video-Überblendung eine suggestive Verklammerung der Zeitebenen beider Seria-Opern: Wir sehen in einer Projektion den Tenor Mirko Roschkowski, der als Titus auf der Treppe der Macht zurückschaut auf „Idomeneo“ und damit gleichzeitig einen Blick in die Zukunft wirft.
In dieser erscheint die marmorne Macht-Architektur des „Titus“ zurückgebombt in eine trostlose Trümmerwüste. Und hier, zwischen kaltem Beton, geschieht dann das erste von einigen vokalen Wundern des Mozart-Doppels. Die junge Sopranistin Slávka Zámecníková lässt die Partie der trojanischen Prinzessin Ilia aufleuchten. Diese wurde als Kriegsgefangene nach Kreta verschleppt, wo Idomeneo regiert, in dessen Sohn Idamante sie sich verliebt hat. Er hatte sie vor dem Ertrinken gerettet. In Wiesbaden ist diese Partie mit dem erstaunlich tragfähigen Countertenor von Kangmin Justin Kim besetzt. Als furiose Elettra stört Netta Or brutal die Gedenk-Rituale der Ilia am Strand, und Mirko Roschkowski ist ein König, der ein Problem hat. Zwecks Rettung aus Seenot hatte er Neptun versprochen, das erste Lebewesen zu opfern, das er am Strand trifft. Das ist nun leider sein Sohn Idamante: Kretas mächtigster Mann wird Sklave seines Gelübdes.
Das weiche, seelenvolle Timbre von Roschkowski, der sich beide Tenorpartien zumutet, kommt anderntags in der Vermenschlichung des Kaisers Titus am intensivsten zur Geltung. So gnädig, wie der Titel „La clemenza di Tito“ verspricht, geht es in diesem Rom nicht immer zu: Es wird im Nebenraum in „Tosca“-Manier hörbar heftig gefoltert, bis Lentulo Sesto als Verschwörer verrät. Silvia Hauer gelingt, auch aus der Mittelloge heraus, eine packende Charakterstudie dieses wackeren Sesto, der Vitellia hörig ist und zum Werkzeug dieser Frau wird. Auch Shira Patchorniks jugendfrische Servilia und die Qualitäten von Olesya Golovneva als machtgieriger Vitellia sind ein Hochgenuss. [...]
Auf Glittenbergs monumentaler Treppe kommt der von Albert Horne einstudierte Chor trefflich zur Geltung, und der schönste Moment beider Abende ist vielleicht jener, in der Klarinettist Adrian Krämer auf diese Treppe kommt, um bewegt-bewegend die Arie des Sesto („Parto, ma tu ben mio“) zu begleiten. Mozarts Macht über uns jedenfalls wird, vermittelt von Staatsorchester-Musikern und Silvia Hauer, in keinem Moment deutlicher.