Karl der V.
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung
Wie der Regisseur die Episoden von Karls Träumen einer verhängnisvollen Erinnerung durch fesselnde Personenführung dynamisiert, wie er den locker agierenden Kaiser (großartig intensiv verkörpert von Bariton Dietrich Henschel) mit seinem jungen Beichtvater Juan de Regla (Schauspieler Moritz Führmann engagiert in der Sprechrolle) miteinander kommunizieren lässt, wie farbig er beispielsweise Luther (Thomas Johannes Mayer) und Moritz von Sachsen (Ludwig Böttger), Karls Schwester Eleonore (Nicola Beller- Carbone) und Frankreichs König Franz I. (Matthias Klink) , Papst Clemens VII. und die jesuitische Fanalfigur des Francisco Borgia (beide Christoph Homberger) zu spannenden Aktionen führt- das alles macht aus der vermeintlichen Ideenoper ein Drama. Sie alle, Zeugen der Weltpolitik dieses Herrschers über die spanischen Länder von Europa bis nach Übersee sorgen dafür, dass Kaiser Karl am Ende den Untergang seiner politisch- christlichen Idee erleben muss, den Ruin der Utopie von der Einheit der Christenheit, die im blutigen Regionalismus Europas versinkt. Die Zukunft der sich potenzierenden Gewalt kann beginnen und die Nazi-Symbole, der offene Militarismus auf der Bühne, auch das steckt durchaus in dieser Oper der gescheiterten Visionen. Der sterbende zum Philosophen gewordene Kaiser spricht: „Alles ist nur eines, tausendfach verwandelt“... Ovationen in Bregenz zu Recht.
Opernwelt
Der stetig an Raum gewinnende Nationalsozialismus und die rechte Heimwehr, seine österreichische Wegbereiterin, das war, was den Dichterkomponisten besonders schmerzte- sie, die ja auch an vorderster Stelle die Wiener Premiere verhindern half. Der von der konservativen Elite unterstützte und wider allen Faschismus gerichtete christliche Ständestaat bedeutete für Krenek die zeitgenössische österreichische Parallele zum katholischen Weltreich. Einleuchtend, dass der furchterregende Marschtritt der vor Rom hungernd marodierenden und schließlich gegen Karl vorrückenden deutschen Landsknechte Uwe Eric Laufenbergs Bregenzer Inszenierung vor allem bestimmt- und mit ihm die Video-Sequenzen, die die Folgen ins Bild rücken: Krieg, Zerstörung, Flucht.
Opernglas
Der Regisseur Uwe Eric Laufenberg nimmt diesen Zeitbezug in seiner Inszenierung im Bregenzer Festspielhaus auf, geht sogar noch weiter: Auch Europas heutiger Staatengemeinschaft liegt ein universaler Gedanke zugrunde, mit vielfältigen Aspekten, die er durch kleinste Textveränderungen durchblicken ließ. Die Aufführung beginnt mit dem Hauptdarsteller, der in der Figur eines Lehrers in einem Klassenzimmer über das Leben Karls V. doziert. Es ist Krenek selbst. Allmählich gleitet er in die Rolle des Kaisers, reflektiert Leben und Taten. Die Schüler spielen die Personen, die seinen Weg kreuzen, aus Schränken auftauchen und wieder verschwinden. Die Inszenierung setzt all die Feinheiten des äußerst nervös wirkenden Stückes schlüssig um. Der Zuschauer wird dabei stark gefordert durch die extrem temporeich angebotene Inhaltsfülle, die kaum Zeit zum Atemholen lässt.
Der Standart
Dass das Konzept weitgehend greift, hieße nicht, dass es ohne Widersprüche auskäme. Dies ginge bei dieser Oper freilich ohnehin nur, wenn man ihre eigenen Widersprüche zurechtbiegen wollte. Der Inszenierung gelingt es aber überaus nahe an Kreneks Vorgaben zu bleiben und doch ihre eigene Perspektive einzuflechten... Dass er den Kaiser von seiner dunklen Seite, verletzlich und grüblerisch zeichnet und ihn dann in Frieden sterben lässt, erschließt freilich eine zutiefst humanistische Sicht auf diese abgründige Herrschergestalt, die Dietrich Henschel mit allen Qualitäten des Liedsängers verkörperte.