Ein Text, der in den Kirchenzeitungen der Bistümer Fulda, Limburg und Mainz erscheinen wird:
„Was hat das Theater mit dem Christentum zu tun?“
In seiner ältesten uns bekannten Form, dem griechischen Theater von 500 vor Christi Geburt hat das Theater nichts mit dem Christentum zu tun - mit der mitteleuropäischen Tradition des Theaters, das sich im Mittelalter aus den Mysterienspielen entwickelte: alles.
Natürlich ist dieses Statement eine Verkürzung und birgt nicht die ganze Wahrheit.
Denn das Christentum hat sich viele heidnische oder vorchristliche Gebräuche einverleibt und christianisiert, so auch das Theater. Und das Theater hat in seiner 500jährigen mitteleuropäischen Tradition immer wieder versucht, sich aus dieser Vereinnahmung zu lösen. Eines der bekanntesten Beispiele und in Deutschland mit der nachhaltigsten Wirkung einer Ablösung ist Goethes "Faust". Die Kirche hat Aufführungen, wo sie konnte, untersagt.
Erst 1829 wurde die Uraufführung zu Goethes 80. Geburtstag gewagt, die aber weit entfernt vom Originaltext lag. Zensurbedingte Streichungen betrafen vor allem als anzüglich empfundene und kirchenkritische Passagen; auch alle Verweise auf Gott mussten entfallen. Das Auftreten des Teufels und der Pakt von Faust mit dem Teufel, auch die Wette von Gott mit dem Teufel um Fausts Seele, waren Szenen, die dem christlichen Verständnis von Gott und dem Menschen allzu heftig widersprachen.
Die Kirche hat das Theater oft gegängelt, wenn das Theater sich der christlichen Lehre scheinbar entgegenstellte.
Und das Theater hat oft vergessen, dass es selbst in seiner Urwurzel des vorchristlichen griechischen Theaters ein bewegendes Gemeinsames mit dem Christentum hat: Katharsis und Empathie. Seelische Reinigung durch großes Erleben und Mitleid.
Immer wenn das Theater diese seine Urquellen vergisst oder gar bekämpft, wird es zynisch, oberflächlich und unwesentlich.
Wenn es diese Urquellen als Ausgangspunkt seiner spielenden Weltuntersuchung nimmt, kann es religiöse Erlebnisse gebären.
Richard Wagner hat sein letztes Werk "Parsifal" Bühnenweihfestspiel genannt und somit geradezu einen Kirchenersatz schaffen wollen, der "Erlösung dem Erlöser" bringen sollte: Parsifal schließt am Ende die blutenden Wunden von Gottes Stellvertreter auf Erden.
Diese Religionsablösung ist übrigens nie in einer Aufführung zu sehen. Es scheint unsichtbare Kontrollmechanismen zu geben, die das Theater vor dem letzten Gang in religiöse Bereiche zurückhalten.
Aber so gibt es eine spannungsvolle, reiche und wechselhafte Beziehung zwischen Theater und Christentum, zwischen Kirche und Kunst, zwischen Religion und Spiel.
Und in dem sich bedingungslos dem Mitmenschen Zuwendenden sind sich Christentum und Theater sehr nahe.