Abschied aus Potsdam
Anfang
Als ich das erste Mal nach Potsdam kam, um mir die Theater- situation dort anzuschauen, fand ich ein schönes Grundstück am Tiefen See, auf dem ein Schild und ein Bagger standen, das aber ansonsten noch ein relativ unwirtliches Industriegebiet war. Auf dieser Brache standen ein Waschhaus, eine Reithalle, die zu einer Theaterhalle umgebaut war, die Tanzfabrik und Oracle. Etwas weiter am Alten Markt gab es ein schon marodes Ersatz-Blech-Theater-Haus, noch etwas weiter in der Zimmerstraße ein völlig heruntergekommenes Werkzentrum mit einer geschlossenen Theaterklause und einem nicht zu bespielenden Theaterraum. Na, habe ich mir gedacht, da steckt doch Potential drin.
Friseurbesuch
// Als ich in der Vorbereitungszeit abends gegen halb zehn durchs Holländische Viertel ging, nach einem langen Sitzungstag etwas zu Essen suchte, nur geschlossene Küchen und keine weiteren Gäste fand, dachte ich mir: Um Himmelswillen, wer soll denn hier ins Theater gehen? // Als ich im Februar der ersten Spielzeit unerkannt in einem Friseur saß und der ganze Laden sich über Jenny Treibel unterhielt und wie man denn um Himmels Willen dort an Karten käme, dachte ich: Uff, geschafft ! // Mittlerweile gibt es auch spät nachts im Holländischen Viertel zu Essen (etwa imRothenburg oder Massimo!) und der Theaterbesuch in Potsdam hat sich wieder zu etwas Regelmäßigem normalisiert.
Theater unterwegs
//Als erstes mussten Ideen her, wie gehen wir bis zur Eröffnung des Theaterneubaus, also noch zwei Jahre, mit dem Theater, der Stadt und den Räumlichkeiten um. So wurde die Idee des »Theater unterwegs« geboren, in die Stadt zu gehen und an soviel unterschiedlichen Orten wie möglich zu spielen, die Blechbüchse aus ihrem Dasein als Repertoirebühne zu befreien und sie zu dem zu machen, was sie ist: eine Halle für besondere Veranstaltungen. Ohne meine engen Mitarbeiter, von denen noch die Rede sein wird, und ohne den wagemutigen, unkonventionellen und für die Kunst brennenden Technischen Direktor Karl-Heinz Krämer wäre dieses Unternehmen nie gelungen. Aber es hat die Stadt und ihre Menschen für das Theater überhaupt und natürlich reaktiviert, es hat alle Einwohner von Potsdam eingeladen, ihr Theater in ihrer Stadt zu finden.
Die Eröffnung des neuen Hans Otto Theaters
// Am 22. September 2006 war es dann endlich soweit, in strahlender Sonne mit einer Bootsfahrt beginnend, auf der Ministerpräsident Platzeck und Oberbürgermeister Jakobs mitfuhren, näherte sich die Mannschaft des Hans Otto Theaters auf dem Seeweg ihrer neuen Spielstätte, von jubelnden Zuschauern und dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Horst Köhler begrüßt. Es folgten fünf Premieren an drei Tagen mit der Direktübertragung der Eröffnungsstunde und des Lessingschen Nathan auf dem zdf-3sat-Theaterkanal und später auf 3sat. Egal ob im Theatersaal oder drum herum, auf der Schiffbauergasse und am, sowie auf dem See: es war ein großen Fest. Was war vorausgegangen?
Nervenaufreibend
// Nervigste Diskussion um die Fertigstellung, Proben im Rohbau mit heftigsten Bohrgeräuschen, ein ärztliches Verbot an Prof. Böhm, Potsdam zu besuchen (er sollte sich in seinem begnadeten Alter nicht mehr über die Potsdamer Bauleitung ärgern), eine furchtbar quälende Diskussion um die Vergabe der Eröffnungskarten
(die ich nach größter Krise und bei drei Flaschen Champagner mit Wolfgang Hadlich, Büroleiter des Oberbürgermeisters, mit einem unglaublich riskanten Verteilerschlüssel löste) und eine beispiellose Unterdrückung der Bekanntmachung offensichtlicher akustischer Probleme. In diesem ganzen naturgegeben Vor-eröffnungschaos gab es für mich (gab es für uns?) nur eine Devise: Da müssen wir durch.
Vorladung
Die Eröffnung hat pünktlich und plangenau stattzufinden!
Und was für eine rauschende Brandenburger Sommernacht wurde es dann! Umso ernüchternder drei Tage später die »Vorladung« ins Kulturamt. Von den beiden Leitern des kis (Kommunaler Immobilien Service) und der Kulturbeigeordneten wurde ich ermahnt, dass ich zu den Akustikproblemen zu schweigen hätte, die wären nicht existent und nur herbeigeredet, ich hätte meinem Technischen Leiter Krämer eine Abmahnung zu erteilen, wegen unbotmäßigen Interviews. Nach einer – zugegebenermaßen sehr lautstarken Einwendung meinerseits, diese Methoden kenne ich leider nur aus anderen als der heute bei uns herrschenden Gesellschaftsordnung, wurde ich mit Androhung der Nicht-verlängerung meines Vertrages des Zimmers verwiesen. Es sollte noch zwei Spielzeiten dauern, bis nach erheblichem Druck der Zuschauer, der öffentlichen Meinung und einer einberufenen Expertenkommission unter Vorsitz von Bettina Paulsen und Prof. Fibelkorn die Akustik mit dem Akustiker Prof. Moll endlich grundlegend verbessert wurde. Mein Glaube an die Demokratie war wieder hergestellt, aber meine Vertragsverlängerung ließ auf sich warten.
Politisches Theater
// Was politisches Theater ist, darüber lässt sich naturgemäß trefflich streiten. Schon in der ersten Spielzeit wurde in einigen Fachzeitschriften, die für sich das Monopol gepachtet haben, zu wissen, was gesellschaftskritisches Theater ist, der Verdacht genährt, in Potsdam würde unpolitisches Theater gemacht. Deswegen möchte ich auf vier Ereignisse besonders eingehen.
// 1. Die Uraufführung »Himmelsleiter« von Ulrich Zaum
Zur Uraufführung des Stückes »Himmelsleiter«, das sich mit verschiedenen revolutionären Biographien zwischen 1920 und 1950 beschäftigt, hatten wir die Idee, mit zwei heutigen überzeugten Verfechtern linker Ideale zu diskutieren: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Bei einem Gespräch mit dem gesundheitlich etwas angeschlagenen Gysi meinte dieser, ich sollte doch bitte Lafontaine nicht dazu einladen, der hätte so Ideen über eine neue Linke Partei, und es soll an dem Abend ja über die Geschichte und Aussicht einer großen Idee gehen und nicht um Parteipolitisches. Da gleichzeitig die Zusage von Lafontaine eintraf, rief ich Gysi wieder an, Oskar Lafontaine hätte zugesagt, was ich denn jetzt tun sollte, ihn wieder ausladen? Oder würde er, Gysi, nun nicht kommen? Er überlegte eine kurze Weile, dann sagte er: ach, lassen Sie es so, machen wir es eben zusammen. Die Veranstaltung am 20. April 2005 ist beim rbb dokumentiert, aber nie gesendet worden, sie wurde aus dem Stand heraus mit einem links gesinnten Publikum, das es in Potsdam ja in großer Anzahl gibt und das den beiden Spitzenrhetorikern zu Füßen lag, zum eigentlichen theatralischen Gründungstag einer neuen linken Partei in Deutschland. Über die Vergangenheit und die utopische Vision wurde eher weniger gesprochen, aber politisches Theater mit konkreten Folgen wurde wahrhaft geboten.
// 2. Anna Politkowskaja – »Putin hat Geburtstag«
Schon am Tag der Ermordung von Anna Politkowskaja kam mit der Bestürzung und der Trauer über das Ungeheuerliche einer solchen Tat, einen Menschen für das zu ermorden, was er schreibt, denkt und sagt, das Bedürfnis, dass ihre Haltung, ihre Reportagen, ihre Geisteshaltung, unerschrocken die oft so unbequeme Wahrheit zu sagen, nicht mit ihr sterben dürfen. So beschlossen wir zu ihrem ersten Todestag einen Abend aus ihren Texten unter dem Titel »Putin hat Geburtstag«, den der russische Präsident ja genau an diesem Tag begeht und für den Politkowskajas Tod ein Geschenk sein sollte, zu machen. Ich hätte mir nicht im Traume einfallen lassen, dass in dem kleinen Potsdam Anrufe aus dem großen Moskau eingingen, zum Teil mit Drohungen, ich könnte jede weitere Reise nach Russland vergessen und wir sollten das lassen. Unter diesem Eindruck war ich auch erstaunt über die große mediale Beachtung, aber geradezu bestürzt, wie etwa die Süddeutsche uns Russenfeindlichkeit (!!) unterstellte oder wie andere besinnungslos auf die Kunstform dieses Gedenkens einschlugen und den Inhalt so gut wie gar nicht zur Kenntnis nahmen. Es klang geradezu so, als hätte Theater sich aus konkreten politischen Dingen herauszuhalten. Kunst und Konkretes scheinen in diesen Köpfen nicht vereinbar, sie brauchen ein ungefähres Gefühl von: die Welt ist schlecht, ich bin gut! Dieses Gefühl hat anscheinend eine Aufführung zu transportieren und dann nennen wir das gesellschaftskritisches Theater. Ein solches Politisches Theater hat mich wirklich nie interessiert. Politisches Theater muss Fragen stellen, Antworten offen lassen.
// 3. »Die Satanischen Verse«
Mich quälend mit »Faust II«, von dem Nadolny sagt, Goethe hätte diesen ungeheuren Stoff ins Heute geweitet, was für mich aber aus diesem Bildungskonvolut bis heute nicht nachvollziehbar ist, habe ich mich versucht zu erinnern, in welchen modernen Werken die Frage nach Teufel und Engel und die Gottesfrage überhaupt gestellt wird. Und mir ist wieder eingefallen, dass ich vor Jahren »Die satanischen Verse« gelesen hatte, eher oberflächlich und mit demselben Gefühl wie »Faust II«: zu viel, nicht wirklich verstehbar, Bildungswust. Aber beim Wiederlesen welches Wunder: Die Anschläge, die der Ausgangspunkt dieses Buches sind, hatten tatsächlich stattgefunden, alles war aus diesem Moment wirklich nachvollziehbar, die Tabus der christlichen Welt von vor zweihundert Jahren existieren in der muslimischen noch heute, der humanistische, aufklärerische Gedanke Goethes lebt in Rushdie fort, und doch ist alles verworren, scheinbar ungeordnet, eben modern. Ich dachte: das ist es, »Faust II« vielleicht in Ausschnitten oder als Plan, und als Erfüllung »Die Satanischen Verse«. Das ist der Rahmen für den suchenden, unwissenden, verirrten Menschen schlechthin. In diesen Plan hinein kam die Kölner Oper. Aber das nur am Rande. Nach etlichen Versuchen mit »Faust II« und trotz allen Insistierens von Hans Nadolny wurde »Faust II« gegen »Die Satanischen Verse« ersetzt. Die Arbeit ging erstaunlich gut und erstaunlich leicht. Es fügte sich wirklich. Bei den Premierenanmeldungen etwa eine Woche vorher hatten wir sehr viele Anmeldungen für »Faust«, aber keinerlei Interesse für Rushdie. Das Buch war ja auch schon etwas alt, der Skandal dachte ich, vor allem im kleinen Potsdam, ist nicht mehr relevant. Fünf Tage vor der Premiere berichtete die BZ von einem angeblich unsagbar mutigen Unterfangen das viele Anfragen auf die Premiere »Die Satanischen Verse«, dass für »Faust« wieder Entwarnung gegeben wurde: Karten verfügbar. Was war los? Hatte man geglaubt, die kündigen das an und machen das sowieso nicht? Oder hatte man vergessen, dass es sich schließlich um einen Skandal handelt? Oder hatten alle wie ich gedacht, die Zeit ist drüber hinweg gegangen, auch Rushdie kann mittlerweile öffentlich auftreten, also kann man jetzt auch mal in Ruhe über sein Buch sprechen. Nichts dergleichen, die veröffentlichte Meinung reagiert wie der Pawlowsche Hund, es muss nur einer losgehen und der muss der Richtige sein, Pfiff geben und alle legen los. Und welche Enttäuschung, wenn am Ende nicht geschossen, randaliert oder wenigstens gedroht wird. Und wieder wie bei Politkowskaja: von der Kunstkritik voll eins über den Schädel (opernhaft, da geht und gehört er ja hin !!!), und politisch: Außenseitertum, was soll das! Wir wollen gut sein mit den Moslems, es gibt kein Problem! // Wenn man wirkliche Konflikte zeigt, ist man schon in ihnen verbrannt.
// 4. »Staats-Sicherheiten«Was soll ich von Lea Rosh sagen ? Meine Freundin ? Meine treue Freundeskreisvorsitzende ? Die es mit ihren Verbündeten geschafft hat, der deutschen Wunde, der Schande in der Mitte, im Herzen Deutschlands ein so notwendiges Denkmal zu setzen ? Ist das 68er pur ? Oder gar die Übertreibung des politischen Gewissens, das zum Ritual und zur Selbstverliebtheit neigt, wie manche meinen, oder doch die eben so eigenwillige Stärke einer richtigen politischen Haltung ? // Als sie mit dem Stasiprojekt zu mir kam, war ich von den politischen Ritualen in Potsdam etwas müde geworden. Ich hatte keine Lust, mich wieder damit zu beschäftigen. Ich war die Themen leid, die sich immer um die gewesene ddr drehten. Dann gab es plötzlich eine Verordnung, die angeblich der mächtigste Politiker in Brandenburg durchgesetzt hatte, dass in den Schulbüchern nicht mehr stehen durfte, dass die ddr eine Diktatur gewesen wäre, die der Nazidiktatur vergleichbar wäre. Sicherlich sind beide Systeme nicht einfach in einen Topf zu werfen. Es gab ja keine Herrenrassenideologie als Staatsdoktrin, keine Massenvernichtung und keinen von der ddr angetretenen Krieg. Gulags und Arbeitslager und Todesstrafen gab es aber schon. Und es gab die Stasi, die funktionierte nach denselben Mustern wie die Gestapo. Und da dachte ich, Lea, du hast Recht, das schreit nach Ungebührlichem, Krankem, Vergessenem. Was auch immer da rauskommt, das machen wir. Es gab einige gescheiterte Versuche, einen Regisseur für dieses Projekt zu finden. Und Dirk Olaf Hanke schlug dann Clemens Bechtel vor, der die Wundertat vollbrachte, die fünfzehn Zeitzeugen so direkt, unverstellt und wunderbar geordnet, dabei so authentisch von dem ihnen erfahrenen Unrecht und Leid berichten zu lassen. Das Interesse, der Zuspruch und die emotionale Kraft des Abends sind unglaublich groß. Es ist die von mir so nicht geahnte Wunde Potsdams: als Stasihochburg, Stasiausbildungsstelle, als noch weiter zurückreichende, eben nicht nur glückliche Tradition der preußischen Disziplin und des deutschen Militärstaats. Vielleicht meinen auch heute noch Menschen, ein Staatswesen braucht einen Geheimdienst, Verteidigung nach innen oder besser: so ein System. Aber spätestens bei »Staats-Sicherheiten« ist mir bewusst geworden, Teil solch eines Systems möchte ich nicht sein. Ich habe mir das Politische am Theater in Potsdam wirklich erarbeitet.
Die Schauspieler
Der Mittelpunkt des Theaters sollte der Schauspieler sein. Ein Mensch spielt, spricht und kommuniziert mit dem anderen. In dem Moment, wo er verstellt wird oder verkrampft ist, ist er nicht mehr » gut« oder » wahr« oder »persönlich«. Theater, in dem sich der Moment des direkten, des unmittelbar Wahren und natürlich Nachvollziehbaren nicht mehr ereignet, ist tot, künstlich oder manieristisch. Und meistens schlichtweg langweilig. Warum soll ich mich irgendwo aufhalten, wo kein Leben mehr stattfindet? Es ist schon seltsam, dass ohne Plan oder Absicht in Potsdam die Regisseure die stärksten waren, die selber spielen können. Alle Regisseure der letzten Spielzeit (inklusive dem des abgesetzten »Stechlin«) sind auch Schauspieler (gewesen). Irgendwie scheint das eine Potsdamer Spezialität zu sein. Vor langer Zeit waren Jürgen Gosch und Thomas Langhoff mal Schauspieler am Hans Otto Theater. Und der langjährig fest engagierte Regisseur Günter Rüger spielt wieder. So bleibt durch die wechselnden Zeiten die Konstante es spielenden Menschen.
Das Ensemble und die Gäste
Ein starkes Ensemble ist die unbestrittene Größe eines jeden Stadttheaters. Und einer freien Gruppe sowieso. Denn was ist Gruppe anderes als Ensemble? Für Potsdam war es kaum möglich, Schauspieler aus den Arbeiten in den großen Theatern als feste Ensemblemitglieder zu gewinnen, die Gagen sind zu niedrig. Wir mussten von vorne anfangen. Mit vielen Vorsprechen und Theaterbesuchen fand ich Schauspieler, die Lust hatten, mit mir in Potsdam neu anzufangen. Von denen sind viele in diesen fünf Jahren geblieben. Und fast alle gehen jetzt. Christian Klischat, Anne Lebinsky, Henrik Schubert, Rita Feldmeier, Roland Kuchenbuch, Tobias Rott, Philipp Mauritz, Helmut G. Fritzsch, Sabine Scholze, Andreas Herrmann und Moritz Führmann sind die Schauspieler, die die ganzen fünf Jahre Laufenberg mitgemacht haben. // Zum Beispiel Moritz Führmann: Mich erreichte in der Kantine im Gorkitheater ein Anruf: da ist jemand, der Sie dringend sprechen will. Am Apparat ein junger Schauspieler, der sagt, ich weiß, Sie machen nächste Woche Vorsprechen, ich komme dazu. Nein, tut mir leid, wir sind komplett voll, war meine Antwort. Auch weitere Terroranrufe auf meiner Handynummer konnte ich abwehren: Nein, Sie brauchen wirklich nicht zu kommen, wir sind voll. // Am Tag des Vorsprechens stand Moritz mit Partnerin vor der Tür: Ich habe Ihnen doch gesagt …, ja ich dachte ich komme mal vorbei, wenn’s nicht geht, macht’s ja nichts …, na ja, wenn Sie jetzt schon mal da sind … Die Partnerin fand ich gut, aber die hatte schon ein Engagement in Dresden, na, was machen wir denn jetzt mit Ihnen? Können Sie das Ganze noch mal machen und halbwegs reden wie ein Mensch? Er konnte, wurde engagiert und hatte schon in der ersten Spielzeit einen eigenen Fanclub, der ihm nach Brandenburg und Frankfurt / Oder nachreiste. Und das zu Recht. Außerdem hat er den Rekord aufgestellt, in einem Monat 32 Aufführungen gespielt zu haben, dicht gefolgt von Jennipher Antoni und Caroline Lux und über haupt allen anderen fest Engagierten, die durch unsere vielen Gastspiele und eventuellen Doppelvorstellungen (Vormittags- und Abendvorstellungen) auf diesen unglaublichen Leistungsoutput kamen. So kann man auch verstehen, dass es Schauspieler gab, die Produktionen stark geprägt haben, uns aber früher verlassen haben, um zum Beispiel ans Burgtheater Wien oder zum Fernsehen zu gehen, wie Adina Vetter, Johannes Suhm oder eben Jennipher Antoni. Oder Menschen, die später dazu stießen, aber sofort in den Mittelpunkt kamen und bis zuletzt täglichen Höchsteinsatz brachten wie Caroline Lux, Carsten Kochan, Michael Scherff, Friederike Walke, Ulla Schlegelberger, Nicoline Schubert, Alexander Weichbrodt, Matthias Hörnke oder Hannes Wegener. Und dann gab es die wunderbaren Schauspieler, die in der Zeit in Rente gegangen sind,
aber immer herzlich willkommene Gäste blieben, wie Hans-Jochen Röhrig (mit seiner wunderbaren langen Tradition der Brandenburger Lesungen), Gisela Leipert, Joachim Schönitz, Peter Pauli und der schon erwähnte Günter Rüger. Er ist 1954 ans Hans Otto Theater gekommen und so sagenhafte 55 Jahre dabei. Kann man das glauben? Er ist wirklich so etwas wie die Seele des Hans Otto Theaters. // Und dann gab es die Stars, das nicht gern Gesehene am deutschen Stadttheater. Das sind Menschen, die vom System nicht abhängen, das sind freie Vögel, Vogelfreie sozusagen. Sie sind groß geworden, weil sie diese Freiheit wollen und in jedem Auftritt, den sie absolvieren, zeigen, dass sie besonders sind, auch wenn sie mal Ensemblespieler waren. Sie sind heute nur zu bekommen unter der Bedingung, dass sie sich mit dem, wie sie Theater machen wollen, ganz einbringen können. // Katharina Thalbach, Angelica Domröse, Dagmar Manzel, Katja Riemann, Dieter Mann, Manfred Karge, Klaus Manchen, Günter Junghans, Julia Malik, Carmen-Maja Antoni, Jacqueline Macaulay, Nadine Schori, Meriam Abbas, Christine Schorn, Muriel Baumeister, Pierre Besson, Robert Galinowski, Jockel Tschiersch, Winfried Glatzeder, Désirée Nick etwa gehören zu diesen Stars, die Potsdams Hans Otto Theater auch prägende Gesichter eingeschrieben haben. Und natürlich sind es Schauspieler, die mehr Geld verdienen können, als das, was es in Potsdam (noch nicht) gibt. Sie haben hier gearbeitet, weil sie mit mir und diesem wunderbaren Ensemble arbeiten, oder besser: spielen wollten. // Es hat viele Abende gegeben, die durch genau diese Kombination zum Fest wurden.
Die Regisseure, die Bühnenbildner, die Kostümbildner
Die Regisseure, die mit mir diese fünf Potsdamer Jahre geprägt haben und regelmäßig hier gearbeitet haben, waren Petra Luisa Meyer, Adriana Altaras, Bernd Mottl, Tobias Sosinka (in den ersten zwei Jahren) und Gisbert Jäkel. Gisbert Jäkel hat als Bühnenbildner seiner und Produktionen anderer Regisseure die Ästhetik vor allem der ersten drei Jahre sehr geprägt. // Matthias Schaller als Ausstattungsleiter ist die andere durchgängig prägende ästhetische Kraft gewesen, Kaspar Glarner eine weitere ästhetische Stütze. Die beiden Kostümbildnerinnen, die mehr als die Hälfte aller Potsdamer Produktionen erarbeitet haben, sind Jessica Karge und Antje Sternberg. Mit Jessica Karge arbeite ich nun seit achtzehn Jahren regelmäßig zusammen, Antje Sternberg habe ich als Kostümchefin in Potsdam kennen gelernt, und sie hat sich nach Anfängen mit dem Weihnachtsmärchen zu einer auch international wirkenden Kostümbildnerin entwickelt. Das ist und bleibt meines Erachtens das Potential des Hans Otto Theaters: Auch weit gereiste Gäste durch die Nähe zu Berlin und die gute Atmosphäre am Tiefen See nach Potsdam einzuladen; und in Potsdam Künstler sich entwickeln zu lassen, dass sie von hier in die Welt gehen können. // In den letzten zwei Jahren sind dann die beiden Schauspieler Tobias Rott und Carsten Kochan verstärkt als Regisseure mit sehr bemerkenswerten Produktionen hervorgetreten. Serge Weber, der wilde und raumgreifende Komponist, und Marc Eisenschink, Tonchef und von »Rosenstolz« kommend und das Theater mit großartigen Klangteppichen und Kompositionen prägend, waren die zwei wichtigen Partner in der Schauspielmusik.
Die Dramaturgen und die Menschen hinter der Bühne
Anne-Sylvie König war vier Jahre lang eine äußerst engagierte und sich heftig positionierende Chefdramaturgin, für leider nur ein Jahr kam Dirk Olaf Hanke nach Potsdam, Hans Nadolny war eine unersetzliche, denkerisch und moralisch verlässliche Stütze, Michael Philipps so etwas wie die dramaturgische Seele des Hans Otto Theaters (er geht mit Ende dieser Saison nach über 40 Jahren an diesem Theater in Pension), Frank Bettinger, der wichtigste Mann aller Pläne und der auf und hinter und vor der Bühne sich für keine Aufgabe zu schade seiende Theaterglüher, Heike Neumann und die »formdusche« mit den von ihnen entwickelten, aufsehenerregenden und zu wilden Diskussionen herausfordernden Erscheinungen unseres öffentlichen Bildes, und Georg Kehren, der Gentlemen unter unseren Theatermenschen, ehrlich liebend, doch beherrscht, mit einem sehr eigenen intelligenten / intellektuellen Standpunkt und doch vermittelnd in allen Ebenen: der ideale Pressedramaturg. // Von den Leuten, die hier schon lange waren, gibt es sicherlich zwei Gruppen: Die Vorsichtigen, vielleicht auch etwas Ängstlichen, für die der gesellschaftliche Umbruch eine große Linie in ihrem Leben gezogen hat und die im Theater jetzt eher einen Schutzraum suchen, um sich vor weiteren Veränderungen und Ungewissheiten zu schützen. Und die andere Gruppe, für die Theater genau das Gegenteil ist, Offenheit, die Bereitschaft neue Ideen mit Lust und viel Einsatz voran zu bringen, die uns »Neuen« mit viel menschlicher Wärme begegneten. Zu diesen gehören unbedingt Irmchen Schöps, die nach 38 Inspizientenjahren am Hans Otto Theater dieses Jahr in Pension geht, dazu gehört der Lichtzauberer Thomas Schellenberger mit seiner wunderbaren Gattin Karin Peter (auch Inspizientin), dazu gehören so viele, die als Techniker, Requisiteure, Stellwerker, Werkstattmitarbeiter, Verwalter oder im Sekretariat hier arbeiten. Und wenn es diese zwei Gruppen wirklich gibt, bin ich mir sicher, dass die zweite Gruppe nach fünf Jahre erheblich größer geworden ist.
Sekretärinnen
Was ist ein Chef ohne Sekretärin ? Sie macht, plant, denkt alles, bevor ich es auf die Tagesordnung setze. Über Frau Schmidt könnte man Romane schreiben. Als sie aufgewühlt in meinem Zimmer stand und erklärte, wenn Frau Nick an diesem Theater auftrete, sie sofort ihre Arbeit niederlegen müsste. Meine Empfehlung als Überraschungsgast im Dschungelcamp aufzutreten, fand sie leider gar nicht lustig. Ihre Treue zum Geschäftsführer ist legendär und kompliziert. Und trotz alledem waren wir fünf Jahre lang ein echtes Team. Und über Kerstin Walter, die wenigstens fünf Sprachen fließend spricht und übersetzen kann, könnte man zwei Romane schreiben. Aber das wären wieder Romane über eine große Sehnsucht nach der Fremde und die Eingeschlossenheit in der Heimat, die eben hier schlicht und schön Potsdam heißt.
Der andere Geschäftsführer
Raback. Wie viele Romane man über ihn schreiben könnte, wage ich nicht zu beantworten. Wir haben beide heftig und intensiv für unser Theater gekämpft und gearbeitet, nicht immer in der selben Richtung. Verstanden haben wir uns erst am Schluss, als wir wussten, dass wir nicht mehr zusammen müssen. Sozusagen auch ein Zuwachs an Freiheit auf beiden Seiten.
Kinder- und Jugentheater
Als wirklich funktionierender und gut organisierter Teil des Hans Otto Theaters fand ich das von Philippe Besson und Andreas Steudtner geführte Kinder- und Jugendtheater vor. Es war der Teil des Theaters, der durch kluge Spielplanung und gute Jugendabos dem Theater in wirklich schwierigen Zeiten eine Stetigkeit verliehen hat. Also gab es keinen Grund das zu ändern. Auch die unermüdliche Theaterpädogogin Manuela Gerlach hat daran große Verdienste. Und die beiden Schauspieler, deren Namen das Kinder- und Jugendtheater zumindest in den letzten drei Jahren hätte tragen können, hießen Wagner und Weichert, Peter und Jenny. // In den letzten zwei Jahren gab es den weitestgehend sehr gut gelungen Versuch, mit einem Abendspielplan unter der Überschrift »Junges Theater« das Angebot zu erweitern (natürlich ohne neue Mittel, die der pädagogischen Bedeutung des Programms und der möglichen Erweiterung nach ganz Brandenburg durchaus angemessen gewesen wären). // Auch die Mitarbeiter des Jungen Theaters werden sich in diesem Sommer von Potsdam verabschieden.
Schluß
Wenn ich jetzt Potsdam verlasse, verlasse ich einen der schönsten Orte, die es als Wohnort in Deutschland gibt. // Ich verlasse keine Kunst- oder Theater-Metropole, wohl aber einen Ort, der in die größte deutsche Kunst- und Theater-Metropole hineinstrahlen kann. Diese fünf Jahre sollten ein Anfang sein.
// Uwe Eric Laufenberg