COSI FAN TUTTE
Martin Kronthaler, Mirko Roschkowski, Timothy Sharp
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung
Was ist eine geglückte Mozart- Aufführung, wie und wo kann sie zustande kommen? Sicherlich nicht nur dann, wenn man sie in Salzburg oder Wien, mit den noblen Wiener Philharmonikern im Orchestergraben, Stars wie Anna Netrebko oder Bryn Terfel auf die Bühne schickt oder wenn ein Regisseur "Neudeutung" oder Szeneschock riskiert. ... Vielleicht aber bedarf es gar nicht des großen Hauses mit großer Bühne damit sich ein Mozart-Wunder herstellt. Womöglich genügt sehr wenig, das aber intensiv ausgespielt, um Mozarts fein balancierte musikalische Theaterkunst, die lodernde Emotionalität seiner Bühnenkunst packend zu vergegenwärtigen. Das geschieht im kleinen Rokoko- Schlosstheater Sanssouci Friedrichs des Großen, wo zum zweiten Mal eine Potsdamer "Winteroper"- Saison mit Mozart eröffnet wurde. "Cosi fan tutte" widerfährt das unverhoffte Glück durch ein paar zielgenaue Maßnahmen der Regie, durch Sänger mit Lebenskraft in Spiel und Stimme und einen Dirigenten der befeuernden Hand für die Abenteuer nicht nur der Alten Musik. Die klein besetzte KammerakademiePotsdam sorgt dafür, dass unter der Leitung des Lautenisten Konrad Junghänel Mozarts instrumentales Gewebe in vehemente Farb- und Kontrastwerte übersetzt wird. Die Neuproduktion, gemeinsam erstellt mit dem Hans- Otto- Theater braucht nur wenige Mittel, die tragisch angehauchte Mozart- Buffa in Gang zu setzen, leicht und scheinbar mühelos. Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Theaters, und sein Bühnenbildner Matthias Schaller entwickeln das abgefeimt Treue- und Betrugsspiel zweier Paare ganz von dem winzigen Raum her, in einem Theaterchen mit kaum 200 Sitzplätzen. So hat man sich gleich zwei Spielflächen erobert, weil vor und hinter dem schmalen Orchestergraben gepielt wird., auf der Bühne und zu Füßen, ja inmitten des Publikums. Der hautnahe Klang des kleinen Orchesters ist es, der mit seiner frischen, von den Bläsern bestimmten und von Junghänel stürmisch angefachten Mozart- Brise auch die Intensität der Sänger unentwegt aktiviert. Die Idee ist nicht neu: Darsteller von Anfang an scheinbar als Sitznachbarn aus dem Publikum heraus zu rekrutieren. So wie Don Alfonso, Ferrando und Guglielmo (Martin Kronthaler, Mirko Roschkowski, Timothy Sharp) in der ersten Reihe Platz genommen haben, bevor sie aufgeregt in Mozarts Stück hineinspringen, sitzen auch deren Verlobte Fiordiligi und Dorabella (Jutta Böhmert, Kremena Dilcheva) in Reihe eins und zwar auf der Bühne, wo sich der kleine Chor unters Publikum gemischt hat. Despina (Gabriele Scheidecker) beginnt den Abend als vorgetäuschte Souffleuse. Der komödiantische Schlagabtausch der Paare wirkt auf dem doppelten Schauplatz dynamisiert- vollzieht sich über das Orchester hinweg unmittelbar am Ohr des Publikums. Ein Vergnügen wie es ein großes Haus nie bieten kann. So leichtfüßig wie am Anfang bleibt die Aufführung fast den ganzen Abend über, weil musikalische und darstellerische Stärken mit Direktheit, Schnelligkeit und Wtz präsentiert werden. Kleine freche "Aktualisierungen" dürfen wie nebenbei aufblitzen, als Sitationskomik en passant, wollen sich nicht als modernere "Konzeptionsarbeit" breitmachen. So wird die Mozartoper zum Theater heute, zu einem Kammerspiel der rasch und impulsiv agierenden Mozartmenschen, als wären sie Leute von nebenan: psychologisch plausibel, seelisch wahr empfunden.
Opernwelt
Dem Team des Hans- Otto Theaters Potsdam unter seinem Intendanten Uwe Eric Laufenberg ist auch nach der kürzlichen Eröffnung eines Neubaus das künstlerische Sein wichtiger als der repräsenative Schein. Man verwendet viel Energie auf die Strategie kleiner Aufführungs- Blitzlichter an verschieden Spielstätten. Stets werden Ort, Werk und Genre in Beziehung gesetzt. Das Rokoko- Theater Friedrichs II. im Neuen Palais von Sanssouci bietet den passenden Rahmen für Mozarts "Cosi fan tutte"- dies in Laufenbergs Inszenierung allerdings nicht nur im Hnblick auf stilgerechtes Ambiente. Der Zuschauerraum, dessen amphitheatrale Bauweise bereits die höfischen Konventionen seiner Zeit aufzubrechen scheint, ist weiter demokratisiert, indem er durch zusätzlichen Sitze auf der Bühnenseite gespiegelt wird. In den Mittelpunkt rückt so der Orchestergraben, von dem aus Konrad Junghänel mit der Kammerakademie Potsdam einen hochkonzentrierten, kantigen, Expressivität vor Eleganz setzenden, dabei in der akkustischen Balance wohljustierten Mozart hören lässt. Jenseits des Grabens sind die Grenzen zwischen Publikum, Chor und Solisten fließend. Die Illusion wird durch kein Bühnenbild, keine Rampe, sondern nur durch die Theaterverabredung mit den Zuschauern aufrecht erhalten. Selbst diese Verabredung aber scheint streckenweise in Frage zu stehen: weil es bei "Cosi" um die Frage geht, wo das Spiel aufhört und das echte Gefühl beginnt, schickt der Regisseur die Sänger mit ihrem recht ungeschminkten emotionalen Wirrwarr dem Publikum auf die Pelle. Das dynamische Spiel des jungen, sängerisch hochkarätigen Solistenensembles entspricht Laufenbergs gleichsam mit schnellen, treffsicheren Zügen hingeworfenen Werkportrait. Ungeachtet des historischen Spielortes folgt es dem Prinzip des "armen Theaters". Der Regie gelingt es, die "Cosi" lebendig und mit einfachen Mitteln an den zwanghaften ästhetischen Polen der gegenwärtigen Opernregie- "werktreuer" Mummenschanz hier und "Eurotrash" dort- vorbeizuschmuggeln.
Potsdamer Neueste Nachrichten
Dreieinhalb kurzweilige Stunden lang kann das Publikum darüber rätseln, wie Theaterintendant Uwe Eric Laufenberg das psychodramatische Geschehen auflöst.
Dabei ist das Publikum, teilweise vor einer Spiegelwand auf der Bühne platziert, in das Geschehen hautnah einbezogen: Chor und die Solisten sitzen unter ihnen, machen die Zuschauenden gleichsam zu Mitbeteiligten und Mitwissern (Bühne: Matthias Schaller). Die Protagonisten singen (in Italienisch, mit deutschen Übertiteln) aus dem Publikum heraus bzw. in selbiges hinein, tönen mit kraftvollen und jugendfrischen Stimmen tatsächlich über den (Orchester-)Graben hinweg. Sie agieren auf schmaler Vorbühne und Parkettvorplatz. Alles ist öffentlich. Unter diesen Gegebenheiten müssen die Schwestern die Treue-Wette der Männer mitbekommen haben. Wie sie darauf reagieren? Es scheint, als würden sie sich einen Spaß daraus machen, die Machos in dem Glauben zu lassen, sie ließen sich zum Partnertausch verführen. Für diese These gibt es im weiteren Szeneverlauf immer mehr detailträchtige Hinweise. So entsteht ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Die ganze Zeit über steckt das Schwesternpaar in feiner Partyrobe modernen Zuschnitts, während die vorgeblichen Offiziere sich in Zivil zeigen, nach der Verwandlung als Handwerkertrupp, später in Rockerkluft und Zimmermannskleidung (Kostüme: Antje Sternberg). Kein Zweifel: die Gegenwart ist’s, in der das Geschehen angesiedelt ist. Nicht gerade umwerfend originell, aber in seiner psychologischen Ausdeutung völlig sinnfällig. So sind die Konterfeis der Partner auf Handy gespeichert, wird mit selbigem der Stand des Treuebruchs dokumentiert… Laufenbergs einfallsreiche Inszenierung, die sich durchweg aus Mozarts Musik speist, kennt kaum einen Moment der Langeweile. Das Ergebnis sind Leichtigkeit, Witz, temporeiches und natürliches Spiel.
Entsprechend animiert klingt es auch durch die Kammerakademie Potsdam (Leitung Konrad Junghänel), die in historischer Manier musiziert, zum Teil auf ventillosen Hörnern und Trompeten. So entsteht ein raffinierter, detailverliebter Klang voll warmer und gedeckter Farben à la sotto voce, mit dem sich wunderschön kolorieren, aber auch kräftig zulangen lässt. Die Rezitative tastatiert Rita Herzog auf dem Hammerklavier fantasiereich, zum Teil erfinderisch, um die weiten Auftrittswege der Mimen zu überbrücken.
Wie sie singen? Über lockere und koloraturengeläufige Mozart-Gurgeln verfügen sie alle. Jutta Böhnert spielt und singt eine prachtvolle Fiordiligi, der die halsbrecherische „Felsen“-Arie weit weniger dramatisch als üblich aus der Kehle strömt. Dafür begeistert sie mit lyrischer Legatolinie, intensivstem Ausdruck im Leisen, strahlender Höhe. Nicht weniger adrett in Statur und Stimme gibt Kremena Dilcheva die Dorabella, die als erste dem Seitensprung nicht abgeneigt ist und vor Leidenschaft wie Seelenschmerz genauso brodelt wie ihre Schwester. Die Liebenden (und Verführer) sind mit Timothy Sharp als draufgängerisch-jungenhaftem, baritonlyrisch sich verströmendem Guglielmo und mit Mirko Roschkowski als knuddelbärigem, kraftvoll auftrumpfendem, strahlendem, höhensicherem und arienlyrisch den „Odem der Liebe“ besingendem Ferrando aufgeboten. Eine resolute, drallfigürliche, dem Soubrettencharme völlig abholde Zofe Despina liefert Gabriele Scheidecker, die – Typ la Mamma – hinreißend komisch auch als Ärztin und Notarin begeistert. Selbst- und wettsiegessicher zieht der stimmverlässliche Martin Kronthaler als Don Alfonso die Fäden der Überkreuzverwicklungen.
Und ihr Ergebnis? Eine Entscheidung, wer zu wem gehört, gibt es nicht. Ergo auch keine Paare. Man zeigt sich ungerührt vom Gewesenen, feiert eine Party. Sozusagen als Spiegelbild einer Gesellschaft, die in den Tag hinein lebt und in der es keine Verantwortung für den anderen mehr gibt. Sehr nachdenkenswert.
Deutschlandfunk
Junghänel fasziniert mit rasanten Tempi und ungewöhnlich stringenter, klarer Partiturdurchleuchtung. Man hört bei ihm Strukturen und kompositorische Finessen, wie nur selten.
Diese Potsdamer „Così“ war ein gelungener, ein lohnenswerter Theaterabend.
Selten hat man das Stück so frisch, so neuartig gehört!
Oranienburger Generalanzeiger
Laufenberg legt Wert darauf, dass es sich um eine Opera Buffa handelt. Das Publikum soll also seinen Spaß haben, trotz unangenehmer Wahrheiten. Und den hat es, wenn der Philosoph Don Alfonso sich mutig und witzig mit den Offizieren Guglielmo und Ferrando anlegt, als er ihnen vordoziert, es gebe keine treuen Frauen.
Märkische Allgemeine Zeitung
Konrad Junghänel gelingt mit der Potsdamer Kammerakademie ein Mozart-Sound, wie er straffer, transparenter, rhythmischer, reicher nicht zu wünschen ist – und der Originalität nicht entbehrt: Die in Despinas „Una donna“-Arie versteckte Walzerseligkeit will erst mal entdeckt werden.
Rita Herzog vollbringt am Hammerflügel kleine Rezitativ-Wunder.
Der Tagesspiegel,
Das Konzept von Regisseur Uwe Eric Laufenberg ist so einfach wie stimmig. Es nutzt zudem auf kluge Weise die intime Atmosphäre des Schlosstheaters Sanssouci.
Beherzt und souverän wird die Produktion von Konrad Junghänel geleitet; von Introvertiertheit spürt man bei dem Lautenisten nichts, wohl aber viel Sinn für rhetorische Klarheit und plastische Details.