DIE FLEDERMAUS
Dagmar Manzel, Katrina Krumpane, Nadine Schori, Uwe Eric Laufenberg, Jockel Tschiersch, Robert Putziner, John Heuzenroeder, Philip Mauritz, Helmut. G. Fritzsch, Klaus Uhlemann
Der Tagesspiegel
Bei „Deutschland sucht den Superintendanten“ würde Uwe Eric Laufenberg wohl kaum sehr weit kommen. Er kann zwar fast alles, ist studierter Schauspieler, vielseitiger Regisseur und erfolgreicher Theaterleiter; aber singen, nein, das kann er nun wirklich nicht. Dennoch gibt er in der Neuinszenierung von Johann Strauss’ Operette „Die Fledermaus“ an seinem Potsdamer Hans-Otto-Theater nun den Gabriel von Eisenstein. Eine ziemlich mutige Selbstbesetzung mit großem Peinlichkeitsrisiko. Wenn der Chef ruft „Lasst mich den Löwen auch noch spielen“, warten alle nur darauf, dass er sich blamiert. Tut er aber nicht. Als das Premierenpublikum am Sonnabend das „Fledermaus“-Ensemble im neuen Theaterbau an der Schiffbauergasse feiert, darf auch Uwe Eric Laufenberg erhobenen Hauptes an die Rampe treten. Ihm und seinem Team ist ein echter Coup de Stadtthéatre gelungen. Eine jener kreativen Kräftebündelungen, die nur in der sogenannten Provinz möglich sind. Potsdam hat nur ein Sprechtheater, will aber auch Operette anbieten, und zwar gleich die ganz große Nummer, mit Prunkausstattung und Riesenensemble. Also holt man sich das Orchester aus Brandenburg an der Havel mit seinem formidablen Chefdirigenten Michael Helmrath dazu, engagiert junge Tänzerinnen aus der örtlichen Ballettschule, überredet den Potsdamer Kammerchor zur leichten Muse, kauft einen Star aus Berlin ein und zwei Profis für die heiklen Gesangspartien und füllt alle übrigen Rollen mit hauseigenen Schauspielern auf. Und mit etwas Glück hat man eine Regisseurin wie Adriana Altaras, die aus dem zusammengewürfelten Haufen dann ein Energiebündel macht. Altaras bringt den Operettenklassiker buchstabengetreu auf die Bühne, sogar am Happy End wird nicht gerüttelt, wenn Rosalinde ihrem Mann verzeiht, weil er sie ja beim Maskenball schließlich nur mit ihr selber betrügen wollte – und doch wirken die Dialoge wie neu. Vor allem der erste Akt hat das Tempo, den rasanten Witz einer Feydeau-Komödie. Als Rentier Eisenstein schiebt Laufenberg seinen Schmerbauch wunderbar selbstgefällig durch die Potsdamer Villa mit Blick aufs Schloss Babelsberg (Ausstattung: Yashi Tabassomi), lässt sich von seinem Kumpel Dr. Falke (Robert Putzinger) nur zu gerne überreden, bei der Party des Prinzen Orlowsky den Ballettratten hinterherzusteigen, und merkt natürlich überhaupt nicht, dass der Verehrer seiner Frau längst unterm Bett den Abgang des Hausherrn erwartet. John Heuzenroeder hat den perfekten Knödeltenor für diesen Alfred und treibt Dagmar Manzel damit schnell in die Kuschelecke. Überhaupt: Dagmar Manzel! Die spröde Schöne vom Deutschen Theater ist auf dem Weg zur ganz großen Sängerdarstellerin. Seit Offenbachs „Großherzogin“ an ihrem Stammhaus und „Sweeney Todd“ an der Komischen Oper hat sie stimmtechnisch noch einmal einen enormen Sprung gemacht, meistert selbst die heikle Rosalinde-Arie im zweiten Akt mit Bravour. Und spielt die verschlagene Neureichengattin einfach umwerfend. Was für ein Repertoire an komischen Verzweiflungsgesten, wenn die Männer um sie herum verrückt spielen, was für eine Aura des Nahbaren, wenn sie die Schwanzfixierung der Kerle zu ihrem Vorteil ausnutzen will. Allerdings: Wenn Manzel nicht auf der Bühne ist, hängt der Spannungsbogen schon mal durch, am Beginn der Ballszene beispielsweise, denn der (auch vokal) schrille Orlowsky des Philipp Mauritz bleibt allem androgynen Gezappel zum Trotz letztlich doch ein armes Würstchen. Eine grandseigneurale Fallhöhe gibt dagegen Helmuth G. Fritzsch dem verknöcherter Gefängnisdirektor Frank, der im Angesicht von Dagmar Manzels falscher Ungarin ebenso zum hoppelnden Fohlen schrumpft wie all die anderen SocietyHengste. Rührend Katrina Krumpanes Adele auf ihrem Weg von der Birkenstock-Landpomeranze zum aufglühenden Partysternchen, mutig die tagesaktuellen Potsdamer Pointen, die Jockel Tschiersch als Gerichtsdiener Frosch in den ausverkauften Saal grantelt. Natürlich bleibt bei diesem Geselligkeitsabend manches ganz schön schräg – doch gerade im Vergleich zum neuen Disney-Musical am Potsdamer Platz wird die eigene Qualität solch handgemachten Stadttheater-Entertainments deutlich. Die „Schöne und das Biest“ ist wie Coca-Cola: Überall auf der Welt wird derselbe Geschmack garantiert. Eine Produktion wie die „Fledermaus“ dagegen birgt dasselbe Risiko wie ein Winzersekt, bei dem man vorher nie wissen kann, ob ihm tatsächlich auch die Sonne lacht. Der „Schiffbauer Gassenhauer“, Cuvée 2007, halbtrocken, ist ein prickelndes Vergnügen geworden.
Märkische Allgemeine Zeitung
Regisseurin Adriana Altaras verlegte die Operette ins heutige Potsdam, wobei ihr eine treffliche Aktualisierung der im Werk angelegten Doppelbödigkeit gelang. Diese kulminiert in der Figur des Prinzen Orlofsky, der in seiner Villa am Heiligen See aller denkbaren Vergnügen überdrüssig geworden ist. Mit vollendetem Schwanken zwischen Falsett und Schlagergeschmetter versinnbildlichte Philipp Mauritz auch stimmlich das zwitterhafte Wesen der Figur. Auch der Kabarettist Jockel Tschiersch als Gerichtsdiener Frosch vermochte Ernst und Heiterkeit gekonnt zu verknüpfen. Sein das Libretto ergänzender Monolog berührte das Betragen der Jauch-bis-Joop-Prominenz ebenso wie das Risiko von Straßenbahnfahrten für Afrikaner. Tschiersch legte seinen Finger in Wunden, die Potsdamer – zumindest beim Operettengenuss – wohl gern vergessen würden. Das aus Sängern und Schauspielern bestehende Ensemble wurde von Uwe-Eric Laufenberg, dem Intendanten des Hauses, angeführt. Er mimte den Rentier von Eisenstein überzeugend als naiv-eingebildeten Macho. Die gefühlte Hauptrolle nahm jedoch Dagmar Manzel als Eisensteins Gattin Rosalinde ein. Ob als heuchlerische Ehefrau, brünstig-verklemmte Geliebte oder unnahbare ungarische Fürstin beim Maskenball – facettenreich und einfühlsam lotete die preisgekrönte Mimin den Radius einer Frau in den Fängen bürgerlicher Doppelmoral aus. Zum Gelingen der Aufführung trugen maßgeblich die Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmrath bei. Dass der Abend nicht in bloßer Walzerseligkeit stecken blieb, sondern ernste Themen durch eine heiter-ironische Verpackung schimmern ließ, macht den Erfolg dieser Inszenierung aus. Glücklich ist, wer noch eine der Restkarten für die kommenden Vorstellungen erwischt.
Berliner Morgenpost
Sie ist der Braten im Gemüse, deftig und knusprig. Ihretwegen macht man sich, auch von weither, auf die Socken. Männer meinen, sie sei ein Rasse-, Klasse-, Vollblutweib, und alle wissen: Dagmar Manzel ist eine große Schauspielerin. Wenn sie auftritt, vibriert die Szene. Sie kann Königin sein und Bettlerin, Clown und Tragödin - und wenn es sein muss alles das zusammen in sekundenschnellem Wechsel. Sie ist der Inbegriff einer Komödiantin. Und außerdem: Sie kann singen. Dagmar Manzels musikalische Produktionen im Deutschen Theater sind längst Legende. So war es überfällig, diese Charakterdame endlich wieder zu verpflichten für Spiel und Gesang: Potsdams Intendant Uwe Eric Laufenberg hat es geschafft, sie an sein Haus zu holen als betrügerisch-betrogene Rosalinde von Eisenstein in der "Fledermaus" von Johann Strauß. Und das ist eine unschlagbare Kombination: dieser immergrüne Hit mit der Manzel. Nahezu tout Theaterberlin reiste an zur Premiere, und die Eisenstein kassierte erwartungsgemäß einen Triumph.
Neues Deutschland
Dagmar Manzel ist Rosalinde, die Ehefrau des Rentiers Eisenstein, eines als »halbflott« beschriebenen, nicht mehr jungen Ehemannes mit schwerem Bauchansatz und allein noch von erotischer Torschlusspanik bewegt. Eisenstein (kongenial der Potsdamer Intendant Uwe Eric Laufenberg) soll am kommenden Morgen seine achttägige Arreststrafe wegen Beleidigung von Amtsträgern antreten, aber für die Nacht hat er noch eine Verabredung, die ihn euphorisiert. Allein schon wegen Dagmar Manzel und Uwe Eric Laufenberg lohnt dieser Abend. Wie Manzel-Rosalinde mit allem falschen Schmelz gegen ihren imaginären Schmerz (bloße Langeweile) ansingt, so spielend versteht sie auch wieder vom Gesungenen schroff abzurücken. Uwe Eric Laufenberg singt eher weniger schmelzend, aber mit viel Mut zum Misston. Sagen wir: Er singt wie Eisenstein. Das macht aber nichts, denn es gibt diesem Ehepaar die Glaubwürdigkeit, die naturgemäß eine dissonante ist. Die beiden unterlaufen auf ihre Weise die grelle Lesart der Regisseurin. Die schönste Stimme des Abends ist zweifellos die vom Stubenmädchen Adele (Katrina Krumpane), die Einzige im Arsenal, deren Maskenspiel nicht aus bloßer Laune, sondern aus der echten Hoffnung kommt, jemand anderes zu werden. Michael Helmrath am Dirigentenpult führt die Brandenburger Symphoniker wohltuend zurückhaltend, fast skeptisch und ohne den überzuckerten Donauwellenschwung, der noch jeden Johann Strauß ruiniert.