DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
Kölner Stadtanzeiger
Hunde mögen, so scheint es, Wagner. Sie jaulen jedenfalls nicht, wenn Kirchengesänge oder „Heil Sachs“-Chöre aufrauschen. Mindestens zwei (bei Wagner nicht vorgesehene) Hunde wirken in Uwe Eric Laufenbergs Kölner „Meistersinger“-Inszenierung als Statisten mit. Sie erscheinen in sämtlichen drei Akten als Accessoires bettelnder Unterschichtler am Bühnenrand. Die Zeiten ändern sich, das Lumpenproletariat, also die Segmentierung der Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose, bleibt. Die Zeiten ändern sich - die „Meistersinger“ spielen doch im reformatorischen Nürnberg? Nicht so bei Laufenberg: Nur der erste Akt gibt in Bühnenbild und Kostümen (Tobias Hoheisel) Kirchentableau, Spitzwinkelambiente und behäbiges Meistertum. Dass aber der neue Kölner Opernintendant nicht zur Lebkuchen-Herzigkeit von anno dazumal zurückzukehren gedenkt, wird schnell deutlich: Stolzing schlägt in der Nürnberger Bürgerwelt wie ein Meteor ein - nicht nur als Vertreter der stadtfremden Adelskultur, sondern radikalisiert auch als Zeitreisender, als Tourist aus anno 2009, der den Damaligen mit seinem Fotohandy zu Leibe rückt. Der zweite Akt spielt dann 1848 / 49 - zur Entstehungszeit der Oper und der Phase der bürgerlichen Revolution, an der Wagner in Dresden teilnahm und die sinnfällig mit der finalen Prügelszene ins Bild gesetzt wird. Die Schusterstubenszene des dritten ist in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlegt, die Festwiese in die Gegenwart, in der die Meister und Eva mit Stolzing auf eine Zeithöhe kommen. Der Ritter wird zum Popstar, der sich mit dem sorgfältig vermarkteten Preislied-Hit erfolgreich dem Casting stellt. Geht so was? Ja, es geht - abgesehen davon, dass Laufenberg eine unmittelbar verständliche, mitunter liebevoll brueghelhafte und vor allem ganz aus der Musik und der szenischen Situation heraus entwickelte Personenführung und Choreografie walten lässt. Die unterschiedlichen Zeitebenen sind schließlich bei Wagner selbst anzutreffen. Der Wahn-Monolog des Hans Sachs etwa - das ist purer Schopenhauer, seine Festwiesenrede aggressiver Nationalismus. Denkt und spricht so ein Stadtbürger der Lutherzeit? Das macht: Wagners Nürnberg ist Traum, Spiel, Fantasma ohne historistischen Realgehalt. Laufenberg macht diesen Fiktionscharakter mit antiillusionistischen Effekten unübersehbar: Zu Beginn des Vorspiels ist die Bühne kahl und leer, und am Ende des ersten und zweiten Aktes brechen die Rückwände weg. Worum aber geht es in der Sache? Bei Laufenberg, der die im engeren Sinn komödiantischen Elemente eher beiläufig behandelt, um zweierlei: Die „Meistersinger“ sind auch die Geschichte ihrer verhängnisvollen Rezeption, die sich mit der deutschen Geschichte von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart panoramatisch verschränkt. Hakenkreuz und Krieg können da nicht fehlen, man darf ehrlicherweise nicht so tun, als sei da nichts gewesen. Und es geht um den Stellenwert und die Funktion von Kunst - heute, nicht im 16. Jahrhundert. Casting-Prozedur und dilettantische Genialität sind nicht alles; dass es auch auf Handwerk und Profession ankommt, hat einer wie Stolzing zu lernen - und, dass die Aktualität die Tradition nicht unreflektiert verachten darf. Im dritten Akt freilich tut Laufenberg zu viel - hier wäre weniger mehr gewesen. Er zieht die spektakulär-wohlfeile Köln-Karte und verlegt die Casting-Show auf den Offenbach-Platz, mit einem Balkon des maroden Riphahn-Baus links im Bild und dem 4711-Haus im Hintergrund. Weil dauernd von Nürnberg gesungen wird, kommt das merkwürdig - ein Minimum an Konstruktionslogik ist auch dann einzufordern, wenn man kein Beckmesser sein und den Lizenzspielraum des Regietheaters weit ziehen will. Zu viel ist - angesichts dessen, was sonst so alles passiert - zumal die Videoleinwand (klar, sie gehört zum Public Viewing), auf der dann zu Sachs' demagogischer Rede Bilder von Hitler in Köln und von Buchenwald-Überlebenden erscheinen. Das ist Volkspädagogik mit dem Holzhammer, so muss man das nicht mehr machen. Zum bejubelten Gelingen der Produktion tragen die Sängerleistungen bis in die Nebenrollen hinein ihr Schärflein bei: Herausragend zumal Johannes Martin Kränzle als auch darstellerisch überzeugender Beckmesser, der die Rolle einmal nicht als Karikatur anlegt, sondern - bei aller Detail-Differenzierung - mit Würde und Tragik ausstattet. Der Bayreuth-erfahrene Robert Holl gibt einen warm-volltönenden Sachs mit starkem lyrischem Appeal, aber zu statischer Bühnenwirkung. Astrid Webers Eva ist ein agiler, heller, leuchtender Sopran mit einigen engen Höhen, Marco Jentzsch als Stolzing ein Wagner-Tenor von gewinnend schlank-elegantem Zuschnitt - eher in Richtung Klaus-Florian Vogt denn den Höhenberserker von ehedem. Schade, dass er nicht die erforderliche Durchschlagskraft hat und beim Preislied die geforderte emotionale Überwältigung schuldig bleibt. Die Textdeutlichkeit ist leider sehr unterschiedlich, deutsche Übertitel wären nach wie vor nicht schlecht. Warum sträubt man sich so hartnäckig? Der Chor absolviert seine mörderische Aufgabe nicht ganz fehlerfrei, insgesamt jedoch mit großer Ausdauer und Spannkraft. Markus Stenz schließlich führt das Gürzenich-Orchester zu einer ausgezeichneten, im Verlauf des langen Abends noch gesteigerten Leistung, eher gemächlich beim Grundtempo, aktiv und genau in der Detailzeichnung und der Dramaturgie der Übergänge, aber angemessen suggestiv beim Strömenlassen der Wagnerschen Klangfluten. Die Verzahnung mit dem Bühnengeschehen ist mustergültig, und Momente wie das Quintett des dritten Aktes geraten zu Höhepunkten selig-zeitenthobener Verzauberung.
Christoph Schmitz, Deutschlandfunk, "Kultur Heute"
... Uwe Eric Laufenberg macht etwas Kühnes. ...Mit jungenhaftem Übermut will er nichts Geringeres, als die Meistersinger aus ihrer nazistischen Umklammerung befreien. Das Werk mit seiner sogenannten Prügelfuge am Ende des zweiten Aktes, wenn die Bürger in der Johannisnacht aufeinander einschlagen, ist für Laufenberg keine Todesfuge. Er präsentiert einen Bilderbogen aus zahlreichen Episoden der deutschen Kultur und Geschichte, von der Renaissance im ersten Akt, über das 19. Jahrhundert im zweiten bis Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart im dritten Akt. Ein historischer Bilderbogen mit Ansichten der Stadt Köln. Wobei Laufenberg die verspielte Grundhaltung seines Theaterspektakels gleich am Anfang signalisiert. ... Unter gotischen Spitzbögen kommen die hohen Herren in prächtigem Ornat zusammen, um ihren vertrockneten Regularien zu frönen, was Kölner an manches stadtpolitische und karnevaleske Ritual fein ironisch erinnert. Fremdling Walther in schwarzem Anzug kann hier. Marco Jentzsch debütiert als Wagnersänger mit einem jugendlich-leichten Tenor, dem es aber noch deutlich an Frequenzreichtum fehlt. Mühelos schwingt sich seine Stimme empor, aber Glanz und Schmelz müssen noch hinzukommen. Auch die Eva der Astrid Weber muss noch reifen. Anders als Bassbariton-Weltmeister Robert Holl, der all die Stunden wie ein Fels in der Brandung den Schuster Hans Sachs singt, volltönend und groß, nur leider sehr schauspielfaul. Neben Robert Holl war es vor allem Johannes Martin Kränzle, der als Beckmesser stimmlich und mimisch einen faszinierenden Auftritt hinlegte in einer sängerisch also etwas unausgewogenen Aufführung. Nach der Niederschlagung der 1848er Revolution im zweiten Akt finden sich die Figuren schließlich im Spießertum der 1950er-Jahre wieder und heben versehentlich auch mal den Arm zum Hitlergruß mit Hakenkreuzfähnchen. Und dann schwillt die rheinische Bilderflut zu Videokaskaden an, aus KZ-, Ruinen- und Wirtschaftswunderreminiszenzen und aus Szenen einer friedlich-trägen Wohlstandsgesellschaft mit trivialer Eventkultur einerseits und demokratisch-tolerantem Gemeinwesen andererseits. Deutsche Geschichte locker erzählt inclusive Mahnung vor den Mächten des braunen Übels. Für seinen kulinarischen Reigen verzichtet Laufenberg auf Tiefe und Reflexion. Für die Befreiung einer Oper aus den Klauen des Todesmeisters ist das kein zu hoher Preis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Im dritten Akt dieser „Meistersinger“ sehen wir viele Bilder, die Neuanfang symbolisieren: historisches Filmmaterial, dessen buntes Durcheinander erzählt, wie sich die Kölner nach der bösen Nazizeit ihre kaputte Stadt wieder neu aufgebaut haben. Wenn der Junker Walther in seinem Preislied vom Paradies singt, sehen wir dessen irdisch-kölsche Erscheinungsform: eisessende Normalmenschen auf der Domplatte, konkrete Utopie gewaltfrei lutschenden sozialen Miteinanders. Singt kurz danach aber Sachs sein von Regisseuren gefürchtetes „Habt acht“, die Warnung an die Deutschen vor „welschem Dunst und welschem Tand“, dann zeigt der Bilderstrom Hakenkreuze und Hitlergrüße. Und wo Regisseure sich anderswo das Hirn zermartern, was sie mit Sachsens Bekenntnis zu „deutsch und echt“ und „deutscher Meister Ehr'“ anstellen, sofern sie die Hauptfigur der Oper nicht (wie Katharina Wagner in Bayreuth) demontieren wollen, da lässt Laufenberg den Sachs einfach eine Generalpausen-Gedenksekunde einlegen und zeigt Bilder aus Konzentrationslagern. ...Danach, auf „Ehrt eure deutschen Meister“, eine wilde Montage mit Welt-Meistern der Kunst von Hendrix bis Beuys und mit Bayreuther Ehrengästen von Merkel bis Mosi. Das braune Böse scheint überwunden, und sei es in Banalität. Auf Kölsch: Et hätt noch emol jotjejange. ... Diesem Sachs, den Robert Holl souverän, kantabel und etwas langweilig schwerblütig zu singen weiß, ist ohnehin alle Ironie fern. So schön und wortgenau es klingt, wenn er über den Fliederduft meditiert, so onkelhaft verspielt er das für das Stück zentrale Thema Entsagung: Für das Evchen (akkurat singend, unscharf artikulierend: Astrid Weber) kommt dieser Alt-Meister erotisch keine Sekunde in Frage. ...Später gewann der Klang des Gürzenich-Orchesters an Spannung und Tiefe: Dicht und dunkel gewoben gelang die Einleitung zum dritten Akt, gelöst und schwerelos zumindest der Beginn des Quintetts. Dazu trug auch der leichte, helltimbrierte Tenor von Marco Jentzsch bei, der dem Preislied des Walther von Stolzing einige fein-leise Traumtöne mitgeben konnte. ... Gutgelaunt dürfen am Ende alle auf dem Podest stehen (“Kölner lassen niemanden allein“), auch der unterlegene Mitbewerber um Evchens Hand. Johannes Martin Kränzles Beckmesser hätte den Preis verdient, so differenziert witzig und stimmlich subtil er den Stadtschreiber als einen zeigt, der aus seiner Haut nicht kann. „Gesang“ lautet das Oberthema der Spielzeit. Keine schlechte Idee für eine Oper, und wo wird das Singen über Gesang mehr zum Thema als in den „Meistersingern“? Doch mehr Sorgfalt bei der Ausführung der vielen und schwierigen Verzierungen, nicht nur in Davids (Carsten Süß) großer Gesangsstunde, wäre zu erwarten gewesen. Der Mehrheit des Premierenpublikums war es einerlei, es freute sich, dass Wagner auch eine Oper über den Kölner Dom komponiert hat, und feierte weiter.
Kölner Rundschau
Ein größeres Fest zum Spielbeginn einer neuen Ära lässt sich kaum wählen. ... Uwe Eric Laufenberg fuhr in Köln auf, was machbar war. Den Bühnenraum, ein Fernsehstudio als Traumfabrik, füllt er in Minuten mit einem aussagekräftigen simplen Aufbau und buntem Volk (Bühne und Kostüme: Tobias Hoheisel) und gaukelt einen lebendigen Mittelaltermarkt vor. Der zweite Aufzug spielt im 19. Jahrhundert. Dass heiteres Spiel in der Gasse tiefer interpretiert werden kann, zeigt die finale Eskalation in einen Bürgerkrieg mit einstürzenden Hochbauten. Endgültigen Abschied von Nürnberg beschert der dritte Aufzug, wo ein Luftbild des ausgebombten Köln das Vorspiel zu einer Trauermusik verwandelt, wie Strauss sie in seinen „Metamorphosen“ besingt. Die berühmte Festwiese wächst auf dem Offenbachplatz beim „Public Viewing“ mit Kölsch und Köbes. Laufenberg inszeniert hart am Wort. Einspieler auf einer Mega-Leinwand interpretieren Wagners Dichtung, das ist brisant und humorvoll. Die Bilder als Nazi- und Promi-Mix, die Wagnerianer noch nie vermisst haben, besitzen Klasse. „Oper für alle“ heißt das viel gepriesene Motto, das allerdings in Köln nur bedingt aufgeht. Es sind neben diesem unterhaltsamen Treiben tolle Spieler auf der Bühne. Aber nur eine Figur überzeugt darstellerisch wie sängerisch: Den Stadtschreiber Sixtus Beckmesser entwickelt Johannes Martin Kränzle perfekt vom etwas lächerlichen Amtsdiener bis zur totalen Knallcharge. Sängerisch stets brillant und häufig sogar im Wort verständlich verkörpert er das Ideal seines Regisseurs. An diese Leistung knüpft am ehesten Carsten Süß als David an. Robert Holl als Hans Sachs sang solide, wie ein gutmütiger Teddy trieb er durch seine Riesen-Partie. Marco Jentzsch, Handymann und Stolzing, sprang sicher durch die Zeiten und sang sehr gepflegt - aber leider viel zu leise. ...Ansonsten war der Abend für Uwe Eric Laufenberg ein angemessener Opener, der enden musste, wie er sollte: Buhs und Bravi für die Regie und viel Applaus für das Ensemble, besonders für den präsenten Chor, mischten sich zu einem erfreulichen Begrüßungscocktail.