Elektra
Premierenbesetzung => Michael Boder | Musikalische Leitung - Waltraud Meier | Klytämnestra - Nina Stemme | Elektra - Regine Hangler | Chrysothemis - Alan Held | Orest - Herbert Lippert | Aegisth - Wolfgang Bankl | Pfleger des Orest - Simina Ivan | Vertraute - Aura Twarowska | Schleppträgerin - Thomas Ebenstein | Junger Diener - Marcus Pelz | Alter Diener - Donna Ellen | Aufseherin - Monika Bohinec | 1. Magd - Ilseyar Khayrullova | 2. Magd - Ulrike Helzel | 3. Magd - Caroline Wenborne | 4. Magd - Ildikó Raimondi | 5. Magd - Younghee Ko | 1. Dienerin - Secil Ilker | 2. Dienerin - Kaya Maria Last | 3. Dienerin - Jozefina Monarcha | 4. Dienerin - Karen Schubert | 5. Dienerin - Zsuzsanna Szabó | 6. Dienerin
Spielzeit 2014.2015
Spielzeit 2016.2017
Spielzeit 2017.2018
Spielzeit 2018.2019
6. / 9. / 12. / 15. Februar 2020
Renate Wagner, Online Merker
Es war doch einigermaßen erstaunlich, dass diese Premiere der Strauss’schen „Elektra“ nicht nur auf den Sitzplätzen, sondern auch auf den Stehplätzen ausverkauft war.
Vielmehr begreift man bald, dass hier die Frage gestellt wird, was wohl in den verborgenen Kellern und Höfen von Diktatorenpalästen vorgeht (irgendwie erinnert die Ästhetik, auch in den Kostümen von Marianne Glittenberg, an die Ceausescus). Mißbrauch von Frauen gehört wohl überall dazu – zumal in einer Welt, wo die Königin sich kein Gewissen wegen eines Menschenopfers machen würde… Und mit dem Paternoster fährt man in diese Hölle hinab. Es ist die Welt der Elektra.
Und es ist die Welt der Nina Stemme, auf ihre Persönlichkeit, ihre Kraft, ihre Stimme zugeschnitten. Im schwarzen Hosenanzug, die Haare im Nacken zusammen gehalten, wirkt sie wie ein Mann, gebärdet sich auch wie ein solcher. In einem Koffer (nicht schon wieder ein Koffer, möchte man sagen, aber hier wird nicht abgereist) bewahrt sie die Erinnerungen an den Vater – dessen pompöse Generals- (oder was immer) Mütze, seine Pistole, und vor allem das Beil, mit dem er erschlagen wurde – wie ein fatales Requisit geistert es durch den Abend, bis Elektra es am Ende, als das Blut geflossen ist, in die Wand hacken kann… Dabei ist die äußerlich so starke Frau, die sich wie ein Mann geben will, um sich zu schützen, ein unendlich bedauernswertes Geschöpf, das nur leben kann, wenn es sich mit seinen Beil- und Erinnerungsritualen immer von Neuem bis fast zum Orgasmus aufgeilt und sich offenbar nur dabei wieder einen Lebenssinn gibt…
Chrysothemis ist auch optisch der totale Gegensatz zur Schwester, ganz in Weiß, in einem Kleidchen, mit dem ein kleines Mädchen zur Kommunion gehen könnte. Anfangs hat sie auch noch einen weißen Muff dazu, den Elektra später dazu missbraucht, ihr damit einen Schwangerschaftsbauch zu geben und sie mit dem Kinderwunsch zur Beteiligung an der Bluttat manipulieren zu wollen. Aber wenn es in diesem Stück überhaupt einen annähernd normalen Menschen gibt, dann ist es Chrysothemis, wenn sie sich standhaft gegen die stete Perpetuierung der Gewalt und des Todes wehrt. Und doch ist auch sie am Ende von den Bluttaten des Orest ziemlich entzückt – nichts ist eindeutig und eindimensional an diesem Werk, und das hat Uwe Eric Laufenberg an jeder einzelnen Figur akribisch herausgearbeitet.
Ganz anders als man sie je gesehen hat, erscheint hier Klytämnestra, die da im Paternoster in die Tiefe steigt, um bei der Tochter Elektra Hilfe zu finden und nur Verachtung, Hohn und Haß erntet, und das in oft erschütternd sadistischen Details – ein Psychothriller, auch, weil die Frau, die da kommt, eine lebende Tote, ein Skelett zu sein scheint, ein dürrer Körper unter dem dünn gewordenen weißen Haar sehr alter Frauen, scheinbar nur durch Kleidung und Schmuck zusammen gehalten. Unten wird sie dann von beängstigenden „Betreuerinnen“ in einen Rollstuhl gesetzt und mit erschreckenden Gerätschaften „behandelt“. Diese Klytämnestra ist am Ende, wie es noch kaum eine war, und wieder einmal hat man direkt Mitleid mit einem Menschen, der (die) zweifellos einmal ein Monster gewesen ist…
Orest, zuerst im Ledermantel mit Pelzkragen, reißt ihn sich in der Erkennungsszene mit Elektra vom Leib, so wie sie sich schnell ihres Hosenanzugs entledigt und nun im Unterkleid dasteht, zwei gleich Gepolte in Schwarz, die über einander herfallen, dass es zweifellos als Liebesakt gedacht ist, und plötzlich scheint auch die Musik danach zu klingen, und man fragt sich, warum man es noch nicht früher so gehört hat…
Aegisth schließlich kommt im Outfit eines faschistischen Diktators daher, und der Pfleger des Orest ist hier zum Mörder unter der Kapuze geworden, der den “Bösewicht” im Paternoster erdrosselt, während dieser rechts hochfährt – und sich gleichzeitig links die blutige Leiche der Klytämnestra herabsenkt… Und da kommt es noch viel schlimmer, was viele vielleicht nicht sehen wollen, dass jetzt nämlich jede Kabine des unaufhörlich rotierenden Aufzugs eine neue blutige und verstümmelte Leiche preisgibt: Orest, der scheinbare Retter, ist auf Anhieb auch der Schlächter.
Längst hat sich gezeigt, dass Uwe Eric Laufenberg neben den darstellerisch perfekt ausgefeilten Porträts der Haupt- und auch Nebenfiguren hier vor allem eine politische Geschichte erzählt, und politisch Lied ist bekanntlich ein garstig Lied. Das zieht der Regisseur durch bis zum Ende: Die Panik der Mägde, die „Täterinnen“ des vorigen Regimes, die das Weite suchen, als sie erkennen, dass ihre Machtstruktur zusammen gebrochen ist. Und die seltsame neue Welt, die nun mit einer Masse von Statisten auftritt, junge Leute, hübsch und adrett, die da tanzend Party Party machen, mit einer ekstatisch mittanzenden, mitzuckenden Elektra unter ihnen, die sich plötzlich im Geschehen verliert und weg ist…
Happyend wie im Kino, das Böse besiegt, jetzt kommen die goldenen Zeiten? Wer auch nur ein bisschen von Politik versteht und von Geschichte weiß, kann es nicht glauben – und siehe da, schon fangen die braven Jungs an, sich zu prügeln… Zurück bleibt Chrysothemis, ratlos, fast panisch, wo sind ihre Hoffnungen geblieben? Über ihr allein senkt sich der Vorhang, der Normalmensch, der unvermeidlich in das blutige Geschehen hineingezogen wurde. Auch das macht Sinn, wie die ganze Inszenierung, die von Anfang bis zum Ende Hand und Fuß hat, in jedem Detail durchdacht ist und höchst theatergerecht erzählt wird.
Kurier
Eine derart statische, uninspierende und das Finale verblödelnde Regie sieht man nicht alle Tage. Nina Stemme jedoch brilliert als Elektra.
Heinz Sichrovsky, NEWS.AT
„Elektra" einer Neuinszenierung zu unterziehen, war schon 1989 ein Wagnis gewesen. Damals galt es, Wieland Wagners epochaler Arbeit aus dem Jahr 1965 etwas entgegenzusetzen. Harry Kupfer entledigte sich der Aufgabe kongenial, seine „Elektra" war einer der wenigen Standards im szenisch verrotteten Staatsopern-Repertoire. Das wurde nunmehr vom Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg um eine weitere Mediokrität bereichert. In der inflationären Abgeschmacktheit der vom Ehepaar Glittenberg erzeugten KZ-Ästhetik ereignet sich ein Nichts an Personenführung, dem man gerade noch praktikable Unauffälligkeit nachsagen könnte, hätte Laufenberg seine wenigen Einfälle nicht an den nunmehr nachhaltig zerstörten Schluss verräumt. Der bühnenhohe Aufzug, dessen Sinn sich schon zuvor nicht erschlossen hatte, transportiert außer den tranchierten Leichen des Königspaars auch einen übersortierten Flohmarkt mythologischen Gerümpels. Und die nackten, blutüberströmten Damen, deren Funktion sich am Beginn nicht erschließen wollte, kommen am Ende als frohsinnige Tanzgruppe wieder – die provinzlerische Scheu vor der apotheotischen Gewalt des Finales artikuliert sich in inferiorer Ironie.
Gesungen wird überwiegend vorzüglich.
Wilhelm Sinkovicz, Die Presse
Das macht der Stemme gewiss so leicht niemand nach. Das hat ihr, genau genommen, auch kaum jemand vorgemacht. In der jüngeren Vergangenheit hat jedenfalls keine Sopranistin diese Rolle dermaßen differenziert und dabei durchwegs wohlklingend zu singen vermocht. Ein paar Ausdrucksdetails, vor allem manch zynischer Unterton in den Dialogen mit der Schwester und der verhassten Mutter, werden sich noch einstellen. Was am Premierenabend zu hören war, hebt die Stemme jedenfalls sogleich in den dünn besiedelten Olymp der großen Elektra-Darstellerinnen.
Dabei kam ihr die am Ende des Premierenabends von manchen arg zerzauste Regie durchaus zu Hilfe. Uwe Eric Laufenberg hat vor allem die Beziehung zwischen Elektra und Klytämnestra fein zu schattieren verstanden. Anna Larsson, eine exzellente Debütantin auch sie, gibt der Mutterfigur – von Marianne Glittenberg entsprechend glamourös kostümiert – hoheitsvolle Züge, zeichnet eine Frau, deren Nerven zwar zerrüttet sind, die aber die Contenance nicht verliert.
Berührend, wie sie sich in diesem Dialog zweier Frauen, die zueinander nicht finden dürfen, der ungeliebten, aber spürbar bewunderten Tochter zu nähern versucht, ja sogar den Körperkontakt sucht – bevor die Frage nach dem Bruder sie wieder zurückschrecken lässt.
Ljubiša Tošić, Der Standard
Mitunter sind derbe Buhchöre auch Hoffnung nährende Frühindikatoren. Sie weisen zwar schmerzhaft, aber doch darauf hin, dass eine Inszenierung "kultigen" Status erlangen dürfte, hat sich die kollektive Premierenpsyche einmal plärrend an ihr abreagiert. Womöglich haben Regiehände ja schwer verdauliche Werkwahrheiten freigesetzt.
Es muss natürlich immer Freude darüber aufkommen, wenn Elektra, dieses bis zum Zerreißen gespannte musikalische Nervensystem, mit seinen kontrapunktischen Modernezuckungen und vokalen Grenzgefühlen, so respektabel bewältigt wird wie hier. Und wer wie Nina Stemme (als Elektra) ihre Stimmsubstanz nahezu ungefährdet in den Dienst kultivierter Dramatik wie Hochtonlyrik stellt, dem verziehe man, hätte er den ganzen Abend nur sitzend absolviert.
Immerhin die glänzende Anna Larsson als Klytämnestra: Sie vermittelt differenziert eine hinfällige Person, der als Rollstuhlpflegefall Spritzen verabreicht werden. Ihre Annäherung an Tochter Elektra versprüht auch jene szenische Intimität, die entlang einer echten Interaktion zwischen den Charakteren entsteht.
Helmut Christian, Kleine Zeitung
Die Neuproduktion der „Elektra“ von Richard Strauss entzweite das Premierenpublikum in der Wiener Staatsoper.
Mit dieser Leistung steht sie jetzt in der ersten Reihe: Nina Stemme als Titelheldin der „Elektra“ von Richard Strauss. Mit welchem Durchhaltevermögen und mit welch extremen Spitzentönen, Farben und Facetten sie die Partie an der Wiener Staatsoper singt, ist konkurrenzlos. Zu Recht ergoss sich ein Beifallsorkan über sie.
Dunkel, bedrückend, heruntergekommen ist das Souterrain. Es ist ein Hort des Unheimlichen, des Unbewussten, der Angst, mit einem Kohlenkeller und einem verdreckten Bad, wo der Mord an Agamemnon passiert sein könnte. Denn hier hackt Elektra das Beil in die Wand. Hier würgt sie ihre Mutter. Hier werden nackte, blutverschmierte Frauen, offensichtlich Sympathisantinnen von Agamemnon, von uniformierten „KZ-Aufseherinnen“ des herrschenden Regimes gequält. In diese Hölle kommt man von den oberen Etagen des Palastes nur mit einem Aufzug (Bühne: Rolf Glittenberg), in dem Klytämnestra herabschwebt und in welchem auch die Morde passieren.
Uwe Eric Laufenberg, der am Schluss einen Buhorkan erntete, lässt in seiner ersten Inszenierung an der Staatsoper die „Elektra“ fern von jeglicher Antikisierung zur Entstehungszeit der Oper spielen, als die Psychoanalyse Freuds schon im Kommen war. Gezeigt wird eine in sich schlüssige Konzeption, eine durchaus spannende Familiengeschichte, die jedoch mehr aktive Personenführung vertragen hätte.
Christoph Irrgeher, Wiener Zeitung
Rolf Glittenberg, Parade-Bühnenbildner des Hauses, hat ausnahmsweise keine Jugendstilwände zimmern lassen, dafür aber einen ziemlich kruden Mix. Zur Linken eine Art Kohlekeller, in der Mitte ein grell beleuchteter Paternoster, in den ein Schmierfink "Tötet" geschrieben hat, an den Bühnenrändern grindige Kachelwände. Aufsichtspersonal spritzt hier anfangs nackte Frauen mit Wasser ab.
Sind die Frauen erst einmal in trockenen Tüchern, nimmt dann aber doch eine ziemlich herkömmliche "Elektra" ihren Lauf. Mit durchwegs animierter Personenführung. Es schreit die Tochter des dahingerafften Agamemnon also Zeter und Mordio und packt zu diesem Behufe eine Axt aus ihrem Koffer, es schneit die Chrysothemis zum schwesterlichen Meinungsaustausch herein - passenderweise weiß gekleidet, weil sie ja mehr am Kinderkriegen denn Rachemorden interessiert ist -, und: Es schleppt sich eine klapprige Klytämnestra herbei, die mit ihren Funkelsteinchen wie eine Glitzerleiche wirkt (Kraut-und-Rüben-Kostümmix: Marianne Glittenberg). Schön, dass wenigstens die sieche Agamemnon-Mörderin mit dem Paternoster herabkommt, wenn sie Elektra aufsucht.
Je später der Abend, desto verhaltensorigineller dann die Gäste. Orest erkennt seine Schwester hier fast biblisch, bevor sie ihn auf Rachemission schickt, und nach begangener Bluttat, in den letzten Opernminuten also, fackelt die Regie dann überhaupt noch ein erratisches Ideenfeuerwerk ab: Warum tanzt hier ein jubelndes Volk erst bieder und hampelt dann wie in einer Bauerndisko? Und wieso verschwindet Elektra in einem groben Männerhandgemenge? Beseitigen Machos die Amazone aus dem Mythos? So gut wie sicher war da eigentlich nur die Wirkung auf den Saal. Das direktorenseitig nicht unbedingt an die Wagnisse zeitgenössischen Regietheaters gewöhnte Publikum würde derlei zuletzt wohl kaum hutschwingend goutieren.
Hatte das Publikum nach dem Schlussvorhang erst einmal Nina Stemme bejubelt und sich dann an Franck warmgebuht, krakeelte es Laufenberg zuletzt mit einem veritablen Wut-Orkan nieder.
Salzburger Nachrichten
Nina Stemme ist die Königin des Kohlenkellers: Die schwedische Sopranistin wurde am Sonntagabend bei ihrem Rollendebüt als "Elektra" in Richard Strauss' psychologischer Racheoper vom Wiener Staatsopernpublikum umjubelt. Sie liefert eine Ausnahmeleistung als dem Wahnsinn nahe, auf Rache für den Tod des Vaters sinnende Königstochter.
Sie alle agieren in einem dunklen Kohlenkeller - ein als Hort des Unbewussten, der Gewalt und Perversion mittlerweile fast typischer österreichischer Topos. Elektra geht, wenn schon nicht zum Lachen, dann zum Leiden in den Keller. Einziger Lichtblick in diesen Tiefen des Seins ist der Paternoster in die oberen Passagen, ein Übergangsort, in dessen Kabinen am Ende Schreckensbilder wie im Horrorfilm die Dämonen Elektras versinnbildlichen. Dieser Paternoster zum Schafott vermittelt zwischen den oberen Etagen des Königspalastes und dessen Unterbau.
Regisseur Laufenberg respektive sein Ausstattungsduo Rolf und Marianne Glittenberg setzten dabei auf klare Kontraste zwischen Schwarz und Weiß, Licht und Schatten, männlich und weiblich. So beginnt Stemme ihre Partie im Männeranzug und wandelt sich von der Kleidung her just in dem Moment zur Frau, in dem ihr Bruder Orest - von ihr mit angedeutetem Inzestakt begrüßt - ankommt, um die scheinbar männliche Aufgabe der Rache an ihrer Mutter und deren Liebhaber Aegisth zu vollziehen. Dieser Ansatz erscheint durchaus stimmig, bezeichnet Elektra doch den vermeintlich schwachen Aegisth im Libretto abwertend als Weib.
Am Beginn tanzt Elektra mit der Axt als Sinnbild ihrer mörderischen Fantasien, am Ende im schwarzen Kleid zwischen weiß-grauem Feiervolk. Dieses Sinnbild ihres Wahns, der gewünschte vermeintliche Wandel zum Guten bleibt jedoch Schimäre.
Alles in allem zeigt sich Laufenbergs Adaption als durchaus stimmige, repertoiretaugliche Inszenierung.
Die Folge war ein wahrer Buhsturm für das Regieteam, der sich an das exaltierte Grundniveau des Stücks anzupassen schien.
Auch Dirigent Mikko Franck am Pult sah sich mit zahlreichen Unmutsäußerungen konfrontiert. Dabei hatte der finnische Einspringer für den abgetretenen Franz Welser-Möst das Staatsopernorchester mit knackigem, kontrastreichem Ansatz durch die Partie geführt, eine grummelnde Höllenmaschine des Wahnsinns präpariert. Das Dunkle ist eben nicht jedermanns Sache.
nachrichten.at
Die Elektra ist bei Laufenberg nicht die in den Wahnsinn Getriebene, die Ausgestoßene, die in ihrem Leben nur mehr einen Sinn sieht, nämlich Rache an denen zu üben, die ihren Vater ermordet haben. Sie sitzt zwar im Kohlenkeller des herrschaftlichen Palasts, in dem blutverschmierte Mägde mit dem Schlauch abgespritzt werden, ist aber in einen schwarzen Hosenanzug gekleidet, als käme sie gerade von der letzten Party. Diese Elektra ist viel zu normal.
Auch Klytämnestra ist nur eine lästig gewordene Oma, die im Rollstuhl sitzt, aber nicht jene machtgierige Frau, die über Leichen geht. So, als wäre dieses Stück ein 08/15-Familiendrama. Dass der Paternoster bis in den Kohlenkeller reicht und als Gedächtnis der in diesem Haus geschehenen Gräueltaten fungiert, ist ein interessantes Detail, macht aber die Psychologie der Figuren nicht wirklich schlüssiger. Speziell Chrysothemis in ihrem drall geschnürten Spitzenkleidchen (Bühne und Kostüme Rolf und Marianne Glittenberg) findet keinen Platz in diesem Stück, weder den der angepassten Tochter noch den der unterstützenden Schwester. Selbst ihre letzten Hilferufe gehen ins Leere, denn Elektra bricht weder tot zusammen noch setzt sie sonst eine irgendwie zur Musik passende Geste – sie ist einfach weg.
Oliver Schneider, DrehPunktKultur
Klytämestras eng anliegendes, schwarz-weisses, glitzerndes Kleid lässt ahnen, dass das Regieteam (Ausstattung: Rolf und Marianne Glittenberg) das blutige Drama in der Entstehungszeit angesiedelt hat. Im Programmheft heißt es, Handlungsort sei der Keller eines Wiener Palais. Entscheidend ist diese zusätzliche Information nicht; Laufenberg erzählt stringent genug, eigentlich zeitlos und über weite Strecken ohne Mätzchen. Dass am Schicksal Klytämnestras Blut klebt und symbolisch dafür jungen nackten Frauen zu Beginn des Abend Blut mit Wasser vom Körper abgespritzt wird, kann man verkraften.
Elektra, die in einen schwarzen Hosenanzug gekleidet optisch bereits als Aussenseiterin gebrandmarkt ist, beherrscht den Kellerraum. Ihr kann auch die Aufseherin keine Angst einflössen, die man sich gut ein Vierteljahrhundert später an einem weit grausameren Ort als Wächterin vorstellen kann.
Mehr Ablehnung als Zustimmung gab es schließlich für das Regieteam. Am intensiven, von großartigen Singschauspielern getragenen Kammerspiel lag es wohl nicht, eher am unnötigen Beginn.
Stefan Musil, Tiroler Tageszeitung
Wenn etwas diese Premiere der „Elektra“ von Richard Strauss rechtfertigt, dann wohl vor allem das Debüt von Nina Stemme in der Titelpartie. Warum die stimmige Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1989 unbedingt ersetzt werden musste, bleibt eher ein Rätsel. Da gäbe es viel anderes im Wiener Repertoire, das sich für eine Erneuerung anbieten würde. Angeblich handelte es sich dabei noch um einen Wunsch des geschiedenen Generalmusikdirektors, der jetzt also auch ohne ihn erfüllt wurde.
Zumindest musikalisch macht der Abend jedoch großen Sinn. Denn mit Nina Stemme hat sich die Hochdramatische unserer Tage dafür erstmals die gewaltige Partie der Atridentochter erarbeitet, die in den Hof von Mykene verbannt, auf Rache für die Ermordung ihres Vaters Agamemnon sinnt. Am Ende des Abends sonnte sich die schwedische Sopranistin im frenetischen Jubel des Publikums. Zu Recht, denn so singt ihr das momentan keine Kollegin nach. Mit diesem Debüt setzt sie Maßstäbe, die nicht nur für heute gelten. Strahlende Höhen, die sich mühelos über die Orchesterwogen hinwegsetzen, aber auch zarte Feinzeichnung, leise Töne gelingen Nina Stemme zu einer weit über die reine Bewältigung der sängerischen Ansprüche hinausgehenden Rollengestaltung. Es war eine überwältigende Erstbegegnung, die sogar noch Potenzial nach oben verspricht.
Jörn Florian Fuchs, Deutschlandfunk Kultur heute
Von merkwürdigen Ereignissen ist zu berichten, gesehen auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Graue Wände stehen da herum, links gibt es einen Kohlehaufen und rechts – kein Witz! – einen Paternoster. Dieser ist selten in Betrieb, aber wenn doch, so transportiert er etwa die alte, im Rollstuhl sitzende Klytämnestra oder ihren blassen Gatten Aegisth. Die beiden fallen Orests Rachegelüsten zum Opfer. Dies ist so ziemlich das Einzige, was Uwe Eric Laufenberg klar und vorlagengetreu erzählt. Der Rest ist ein einziger Wirrwarr aus Ideenfetzen, Gedankensplittern und völlig kruden Bildern.
Zu Beginn werden mehrere junge, hübsche, splitternackte Frauen abgeduscht, am Ende läuft Elektra tänzelnd herum, auf einmal kommen Ballettpaare herbei und bewegen sich nach Elektras Fingerzuckungen. Irgendwann verschwindet die Titelheldin, nur ihre ständig in weißem Hochzeitskleid herumlaufende Schwester Chrysothemis bleibt zurück, blutverschmiert und ängstlich schauend. Kurz vorher transportierte der Paternoster Leichen, Leichenteile, Gedärme und weiteres Gruselgedöns.
Der Inszenierungsanfang verweist auf ein Mädchenwohnheim oder einen Folterkeller, der Schluss auf eine Alptraumvision von Chrysothemis, wie das zusammen hängen soll, weiß der Geier. Dass Klytämnestra als Herzogin von Alba-Double auftaucht, mag witzig gemeint sein, doch dadurch wird ausgeschlossen, dass sie mit Aegisth irgendetwas Sexuelles verbindet. Eigentlich ist Elektra ja eine Ausgestoßene, die vor dem Palast der Mykene lebt.
Lange Zeit spielte die Staatsoper Harry Kupfers Elektra-Inszenierung. Diesen Publikumsliebling durch Laufenbergs nicht einmal halbgare Neudeutung zu ersetzen, war keine gute Idee. Aber vielleicht sind die alten Kulissen ja noch irgendwo auf Lager.
Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung
Auftritt Klytämnestra: Anna Larsson kommt im Paternoster aus dem Bühnenhimmel gefahren. Sie trägt ein glitzerndes Jugendstilkleid, ist ganz große Dame, und doch spielt sie ein Wrack. Weiß sind die wilden Haare, wie vom Schrecken erbleicht. Auf dem Bühnenboden angekommen, besteigt sie einen Rollstuhl. Diese Königin schleppt mehr Albträume mit sich herum als ihre Tochter Elektra. Schwer kann man sich vorstellen, dass sie sich mit Aegisth im verschwitzten Lotterbett wälzt. Umso mehr aber verkörpert Larsson den Wahn der Gattenmörderin. Bis hinein in die Stimme. Doch manchmal blendet sie aus dieser jedes Klingen, jeden satten Ton aus, verfällt fast ins Sprechen, Geifern, spuckt Worte aus wie Gift.
Dazu modelliert Mikko Franck mit den Wiener Philharmonikern den bösen Untergrund, den Richard Strauss für diese Szene entwarf. Plastisch werden die dunklen Würmer, die hier unter dem stählernen Strahlen Richtung Atonalität kriechen. Nie war Strauss in seiner Orchesterbehandlung avancierter als in dieser Szene, und Franck, der nicht nach einem historischen Klangideal sucht, sondern mit Brutalität die Musik in die Gegenwart wuchtet, kostet das mit Lust aus. Diese "Elektra" klingt hart, laut, schonungslos.
Dafür kriegt er dann ein paar Buhs. Die Wiener wollen es an ihrer Staatsoper vielleicht ein bisschen gemütlicher.
Im Keller, wohl unter einem Ringstraßenpalais, geht es freudlos zu: Die Mägde drangsalieren zu Beginn fünf nackte respektive sehr leicht bekleidete Damen mit einem Wasserschlauch, die Aufseherin trägt ein martialisches Kostüm, als wäre sie in Bergen-Belsen und nicht in einer Art Klinik, Mädchenkorrektionsanstalt. Dann wieder, sehr gut gedacht: Aus dem Pulk der nackten Opfer tritt die fünfte Magd hervor, jene, die für Elektra Verständnis hat - hier geadelt durch die fast mythenhafte Besetzung, Ildiko Raimondi.
So geht es hin und her bei Laufenberg. Komponiert Strauss Anflüge von Homoerotik - wenn Elektra ihre Schwester Chrysothemis von der Notwendigkeit des Muttermords überzeugen will -, bleibt die Szene keusch. Erkennt indes Orest - der dunkel orgelnde Falk Struckmann - Elektra als Schwester, fällt er in einer dunklen Ecke des Kellers über sie her.
Die Stemme, gibt hier als Elektra ihr Rollendebüt, und es wird zu einem fabelhaften, hemmungslos bejubelten Triumph für sie. Anfangs fehlt ihr ein wenig Tiefe, aber das ist schnell vergessen, und aus einer grandiosen Mittellage heraus bewältigt sie Spitzen.
Am Ende inszeniert Laufenberg den Tanz der Elektra als kollektives Ereignis mit einigen Statistenpaaren, der Paternoster fährt und zeigt Minitableaus von blutenden Gestalten und Gedärmen, der Tanz verdichtet sich zu einer Art Pogo-Orgie - und Elektra ist weg. Einfach verschwunden. Doch die Musik und der Gesang hallen noch lange nach.
Renate Wagner, Online Merker
Für Nina Stemme wollte Franz Welser-Möst, wie Dominique Meyer in der letzten Pressekonferenz erzählte, unbedingt die neue „Elektra“ machen, und das war richtig gedacht: Dies wird nun wohl für viele Jahre „ihre“ Rolle sein. Nie eine leidenschaflich-extrovertierte Darstellerin, holt Laufenberg aus ihrer inneren Verkrampftheit die höchste Wirkung. Ihre Erregung liegt ja auch in der Gesangslinie, und hier entlädt sie sich in dieser Reihe unglaublicher Attacke-Spitzentönen, die Strauss so unbarmherzig einfordert wie Wagner und die nur jemand wie sie, eine ausgewiesene Brünnhilde und Isolde, so singen kann. Dabei hat sie die perfekte Technik, jene wenigen, aber so wichtigen „zarten“ Stellen im Piano und Mezzavoce mit absoluter Sicherheit zu bringen. Im übrigen singt sie sich die Seele aus dem Leib, mit vereinzelten Schreien, die nichts mehr Menschliches an sich haben, das war stellenweise atemberaubend und entsprechend stürmisch fiel der verdiente Beifallsorkan aus.
Und wahrlich auf der Höhe der Partitur bewegte sich Mikko Franck im Orchestergraben, wirklich ein Mitspieler und Miterzähler des Dramas, wobei man selten so viel Wagner in der „Elektra“ gehört hat wie bei ihm (steckt ja auch drin, man muss es nur herausholen). Dass bei der von Strauss vorgegebenen Lautstärke Textverständlich nur aus dem mitzulesenden Text kommt, ist klar, aber Franck hat sich keinerlei Rücksichtslosigkeit den Sängern gegenüber schuldig gemacht – wobei Nina Stemme wahrlich keine Schonung benötigte. Es war ein Abend, der vom Orchestergraben her stark zusammen gehalten wurde.
Dennoch trafen auch Mikko Franck viele Buh-Rufe, die übrigens von der ersten Sekunde des Applauses mit solcher Stärke einsetzten, dass man kaum an Zufall glauben kann. Uwe Eric Laufenberg schien verwirrt über die Heftigkeit der Ablehnung, die ihn traf (hat er „Basta, cretini!“ geflüstert? Nachfühlen könnte man es ihm), und auch Nina Stemme, die persönlich im Beifallsorkan baden konnte, schien mit dem Regisseur verwirrt.
Was soll’s, das ist Oper, die ist nun mal (entgegen der Meinung der Laien) keine steife oder gar tote Sache, die spielt sich nicht nur auf der Bühne, sondern nachher auch im Zuschauerraum ab, und lebendig genug ging es zu nach dieser Premiere. Doch es scheint, wer hier „Buh“ schrie, hat weder genau zugesehen noch zugehört.