Herzog Blaubarts Burg
Premierenbesetzung => Musikalische Leitung | Zsolt Hamar - Herzog Blaubart | Gerd Grochowski - Judit | Vesselina Kasarova /Asmik Grigorian
Spielzeit 2014.2015
1. März 2019 - Wiederaufnahme, als Doppelabend mit Kurt Weills »Die sieben Todsünden«
8., 14., 23., 31. März 2019
Wiesbadener Kurier, Volker Milch
Bartók und Weill im Doppelpack
Ein Abend großer Sängerdarsteller: „Herzog Blaubarts Burg“ und „Die sieben Todsünden“ am Staatstheater Wiesbaden gefeiert.
WIESBADEN - Die Geschichten, die das wirkliche Leben schreibt, sind manchmal nicht weniger heftig als die Dramen auf der Opernbühne. Die Premiere von Béla Bartóks Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ mit Johannes Martin Kränzle war eigentlich schon für 2015 geplant. Damals aber erkrankte der Bariton, und Gerd Grochowski sprang mit einer eindrucksvollen Leistung als Blaubart ein. Grochowski, Wiesbadens Wotan, starb vollkommen überraschend 2017 nach der Premiere der „Walküre“ und hinterließ ein Staatstheater im Schockzustand.
Der Täter ist auch Opfer
Johannes Martin Kränzle hat sich derweil aus einer bösartigen Erkrankung des Rückenmarks, mit der er ganz offen umging, ins Leben und auf die Bühne zurückgekämpft. Im Gespräch mit dem Münchner Merkur hatte er seine Genesung 2017 ein „Wunder“ genannt. In jenem Jahr wurde er erstmals als Bayreuther Beckmesser gefeiert. Das Privileg, den renommierten Sänger nun in Wiesbaden erleben zu dürfen, bringt dem Publikum einerseits den Verlust Gerd Grochowskis in Erinnerung. Andererseits wertet Kränzles Engagement die Wiederaufnahme der Bartók-Inszenierung Uwe Eric Laufenbergs unter der Stabführung von Philipp Pointner zu einem sehr besonderen Abend auf. Es sind nicht nur die baritonalen Qualitäten, die begeistern, wenn profunder Wohllaut Bartóks vokale Linien geschmeidig nachzeichnet. In den eindringlich gespielten Szenen einer Nähe, die Matthias Schaller und Susanne Füller (Bühne) in einem sachlich-modernen Ambiente mit Sitzgruppe ansiedeln, gibt der Sängerdarsteller den Täter Blaubart auch als Opfer seiner mit Notebook und Businessanzug gut organisierten Männlichkeit. Zwanghaft zitternd hebt er, wie ferngesteuert, das Messer gegen Vesselina Kasarovas Judit, die ihn mit dunkel glühender Mezzo-Zuwendung erwärmen, erlösen möchte: Sieben Geheimnisse verbergen sich hinter sieben Türen.
[...] Ein spannender Abend!
kulturfreak.de, Markus Gründig
Operndoppelabend am Staatstheater Wiesbaden: »Herzog Blaubarts Burg« und »Die sieben Todsünden«
[...] Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung ist nicht so abstrakt, wie die, lediglich auf einem schwenkbaren Rund spielenden, von Barrie Koskys an der Oper Frankfurt (2010). Laufenberg erzählt das Drama des Herzog Blaubart auch als romantische Liebesgeschichte mit viel Sinn für Körperlichkeit. Herzog Blaubarts imaginäre Burg ist hier ein mondän eingerichteter fensterloser Loft mit Holzwänden, sieben verschlossenen Türen und einer Fahrstuhltür. Für zusätzliche Effekte sorgen die geheimnisvollen hinteren Wände, die zusammengeschoben oder schräg gestellt werden können und so dem Loft Enge und Weite geben können (Bühne: Matthias Schaller, Susanne Füller). In diesem Set agieren die beiden Vollblutdarsteller Vesselina Kasarova und Johannes Martin Kränzle, dass es eine Freude ist, ihnen zuzuschauen.
Mezzosopranistin Kasarova hat die Figur der Judith, die Verlobten und Familie verlässt, um Blaubarts Geheimnis auf die Spur zu kommen, bereits bei der Premierenserie in 2015 verkörpert. Sie gibt sie mit einer Frische und ausgewogenen Balance zwischen in ihr nagender Neugier und leidenschaftlicher Verliebtheit in Blaubart und glänzt dabei mit fülliger Stimme, die die Höhen leicht erklimmt. Zusammen mit dem Bariton Johannes Martin Kränzle wird die Aufführung zu einem Pflichtbesuch. Kränzle, „Sänger des Jahres 2018“ bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift OPERNWELT, ausgezeichnet mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik 2018 und jüngst mit dem Rheingold-Preis des Richard-Wagner-Verbands Frankfurt, wird zwar seine Paraderolle des Sixtus Beckmesser (in Richard Wagner Die Meistersinger von Nürnberg) im Rahmen der Internationalen Maifestspiele am 30. Mai 2019 in Wiesbaden singen (und im Sommer erneut bei den Bayreuther Festspielen), aber auch sein Herzog ist absolut hörens- und sehenswert. Kränzle gibt ihn mit stimmlicher Autorität, dies nicht starr, sondern sehr flexibel, als nonchalanten Womanizer, der voller Widersprüche ist, der selber begehrt, sein Glück teilen will und doch voller Abgründe ist. Besonders intensiv stellt Kränzle Blaubarts Verzweiflung dar, wenn Judith den letzten Schlüssel fordert. [...]
Am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden sorgt in beiden Stücken der gebürtige Wiener Dirigent Philipp Pointner für einen suggestiven Klang, der einen insbesondere bei Bartoks Burg, oft mit viel Vehemenz, in Bann zieht.
Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg
Geschlossene Zweierbeziehung - „Herzog Blaubarts Burg“ mit Johannes Martin Kränzle am Staatstheater Wiesbaden, dazu „Die sieben Todsünden“.
[...] Auf einer Hoteletage (Bühne: Matthias Schaller / Susanne Füller) mit mysteriös beweglichen Wänden, die der Herzog und seine neue Frau Judit per Aufzug erreichen, zeigt Laufenberg Blaubart wie 2015 unverblümt als Frauenmörder. Kränzle, der am Ende zögernd, mit sich ringend, unlustig zustechen wird, zeigt aber vorher überraschenderweise den glücklichsten aller möglichen Blaubarts. Das liegt an seiner Beweglichkeit, die er hier in die Energie eines seine Verlegenheit überspielenden, erwartungsfrohen Mannes umsetzt, vor allem jedoch liegt es an seinem Lachen. Kränzles Blaubart lacht das arglose, lupenreine Lachen des Augenblicks, in dem alles schön und gut ist, ein Augenblick nur, aber nichts anderes zählt. Kränzles Blaubart singt groß und schön, keine Gewalt, keine Rauheit ist in seiner Stimme.
Erstens begreift man zum ersten Mal, was Judit an ihm findet – denn seine unerquickliche Burg ist gewiss nicht der Grund dafür, dass sie alles und alle für ihn verlassen hat. Zweitens wird einem klar, dass die zarte Möglichkeit eines guten Ausgangs nicht so abwegig ist. „Herzog Blaubarts Burg“ erzählt in Wiesbaden wirklich von Liebe und einer Sexualität, die beide wünschenswert finden, und erzählt davon, wie ein Mann sich nicht öffnen will, aber eigentlich will er es doch. Kränzle lässt uns dabei zuschauen.
Faszinierend: Aus dem Drama einer heillos liebenden Frau, wie es 2015 zu sehen war, wird das Drama einer geschlossenen Zweierbeziehung. Kränzle spielt so markerschütternd, dass im Grunde genommen sogar das Drama eines Mannes aufgeführt wird. Aber auch Vesselina Kasarova, die Judit von 2015, ist eine lebhafte, ihrem Gegenüber zugewandte Darstellerin, und sie verfügt über eine nicht minder füllige, dunkel lodernde, expressive Stimme. Das übliche Gefälle ist nicht mehr da, beide hoffen, beiden ist Angst nicht fremd, aber er hat das Messer. Die Ausgestaltung der zu öffnenden Türen (des bloßzulegenden Blaubartschen Innenlebens) – ein Laptop, ein Schmuckkasten, Plastikblumen aus dem Badezimmer nebenan – wirkt nicht mehr pragmatisch und arg bescheiden, sondern dient sinnig dazu, nicht von den Menschen abzulenken.
Bemerkenswert, wie diszipliniert Philipp Pointner das Orchester führt, blühend, aber immer wieder auch geschmackvoll abgedämpft. Zwischen dem offenbar verabredeten, Kränzle und Kasarova jedenfalls perfekt unterstützenden Wohlklang öffnen sich Abgründe von Traurigkeit. [...]
Darmstädter Echo
Intendant Uwe Eric Laufenberg schenkte dem zweiten Teil des Doppelabends die Insignien des Kampfs zweier Alphatiere um die Deutungshoheit der Vergangenheit. „Herzog Blaubarts Burg“ ist ein kryptisches Spiel um die verbotene siebte Tür, hinter der Blaubarts Vergangenheit nicht vergehen will. Damit ist der Bogen zurück zum ersten Teil des Abends gespannt. Blaubart und Judit sind zwei Menschen mit Vergangenheit: Der unermesslich reiche Herzog, an dessen Besitz Blut klebt, und seine neue, vierte Frau, die ihre Eltern und ihren Verlobten für ihn verlassen hat. Die bulgarische Mezzosopranistin Vesselina Kasarova leiht der maßlos liebenden Judit Sinnlichkeit und dunkel lodernde Leidenschaft. Dabei singt sie genau kontrolliert und herrlich wandelbar vom Flüstern bis zum expressiven Schrei, immer jedoch mit einer Fülle des Wohllauts, einem Widerschein ihrer Belcanto-Karriere (etwa als Rossinis Cenerentola). Der Blaubart von Gerd Grochowski zeigt einen Herzog, der um Judits Liebe Willen alles tun würde – fast. Mächtig füllt baritonales Leuchten das Haus, mischt sich Sinnlichkeit mit Brutalität.
Regisseur Laufenberg findet für diese explosive Mischung schöne bis irritierende Bilder: Hinter der fünften Tür mit Blaubarts weiten Ländereien verbirgt sich eine trostlose Hügellandschaft, greller Kontrast zur diatonischen Dur-Orgie der Partitur. Judit und Blaubart umkreisen einander, zunächst spielerisch, dann wie Raubtiere. Verwüstung macht sich breit, das Apartment wird zur Walstatt. Schnell wird klar, dass eines von beiden auf der Strecke bleiben wird.
Auch hier zeigten sich Hamar und sein Orchester in guter Form. Bartóks hochvirtuoser Farbenrausch entfaltete sich mit Delikatesse und hinreißendem Glanz. Apart war die Aufstellung von Harfen und Glockenspiel in der Proszeniumsloge. Rauschender Beifall und viele Bravorufe für zwei Opern-Glanzleistungen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung
"A kékszakâllû herceg vâra" heißt der zweite Einakter des Abends, ist mindestens so schwer auszusprechen wie zu deuten und geläufig als "Herzog Blaubarts Burg". Das Gemäuer steht symbolisch für das Seelische ihres BEwohners; die Inszenierung des von Béla Bartók veroperten Stoffes hat Intendant Uwe Eric Laufenberg npersönlich übernommen.
Gerd Grochowski spielt den Herzog als Charakterschwächling, der sich seiner Vergangenheit nicht stellen kann und sich schließlich nur durch tödliche Gewalt zu helfen weiß.
Vesselina Kaserova spielt dafür mit allen Möglichkeiten ihrer Stimme. In der Höhe findet sich bei ihr die Klarheit seelischer Reinheit wie das schrille hysterisch aufgipfelnder Forderung, die Mittellage schimmert gern warm und sinnlich, kann aber auch gefährlich dunkel sein. Das passt zu Laufenbergs Deutung, welche sich einseitiger Bewertung enthält. Judits Verlangen nach Offenheit ist verständlich, ihr immer vehementer vorgetragenes Eindringen in die Vergangenheit des Geliebten zugleich tödlich für den Wunsch nach einem Neubeginn.
Während sich die von Matthias Schaller ersonnenen Burgmauern um das Paar abwechselnd schließen und wieder öffnen, treibt dieses in stetiger Steigerung seinem Verhängnis zu. Die Vergegenwärtigung der niemals gezeigten sieben Kammern gelingt dem HEsssichsen Staatsorchester Wiesbaden ausgezeichnet. Von Öffnung zu ffnung findet sich die impressionistische Fülle der bildhaften Klangvisionen weiter gesteigert. Prädikat: sehr sehens- und hörenswert.
Frankfurter Rundschau
Gerd Grochowski, für den ursprünglich vorgesehenen, erkrankten Johannes Martin Kränzle eingesprungen, übernimmt den Blaubart-Part mit reizvoll spröder Wucht. Regisseur Uwe Eric Laufenberg und Kostümbildnerin Susanne Füller (für beide Teile zuständig) lassen ihn als grauen Anzugträger auftreten. Hier steckt auch ein starker Regieeinfall: Blaubart ermordet seine neue junge Frau nicht in irgendeinem übertragenen Sinne, sondern buchstäblich als Jack the Ripper. Und klar zeigt sich auch: Der macht weiter.
Die Deutsche Bühne
Von der Macht des Virtuellen erzählt gleichsam der zweite Teil des Abends, Uwe Eric Laufenbergs überzeugende Aufführung von Béla Bartóks einziger Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Hierin lässt sich die junge Schönheit Judit (Vesselina Kasarova) von dem geheimnisvollen Fürsten (Gerd Grochowski) verführen und verliert sich in einem Strudel aus Lügen, Rätseln und Imagination. Als sie seine sagenumwobenen acht Zimmer einsehen möchte, erkennt sie via Laptop als erstes die Folterkammer. Dass sich derweil der trichterähnliche Flur flexibel zusammenschieben oder aufweiten kann, zeugt von einem kaum fassbaren Märchenschloss, wundersam und bedrohlich zugleich. Selbst sein Reich, dem sie hinter einer weiteren Tür offenbart, erscheint schließlich als riesige Wandfotografie am hinteren Ende des Spielraumes – ein Wahrnehmungsereignis, das Zsolt Hamar samt seinem Orchester in monumentaler Tongewalt begleitet. Hierin äußert sich Bartóks kompositorische Gewalt, die sich zuvor in stakkativen Episoden langsam aufbaut, um sich zuletzt ventilartig zu entladen.
Die mediale Schimäre ist somit allgegenwärtig. Einzig Judits Tod, ein erwartbarer Akt der Besitznahme durch den omnipotenten Patriarchen, markiert den letzten Rest an Wirklichkeit. In Wiesbaden wird die klassische Moderne somit postmodern, ohne den epochalen Kern der Werke zu verraten. Man wird zweier bewegender Gratwanderungen gewahr, die eines klar zeigen: Nichts ist so zeitlos fragil wie das menschliche Dasein.
Wiesbadener Kurier
Der Regisseur, Wiesbadens Intendant Uwe Eric Laufenberg, siedelt die Geschichte in einer holzgetäfelten Architektur an, die geschmacksneutrale VEB-Gediegenheit ausstrahlt. Dazu passt die blechern verstärkte Stimme des Prologs. Neben einer Sofa-Garnitur steht das Bett zur horizontalen Variante maskulinen Machtanspruchs bereit und wird zum Tatort. Hier ersticht Blaubart die Frau, die, ähnlich wie Lohengrins Elsa, zuviel wissen wollte. Wie das in der Oper immer mal wieder passiert, darf Vesselina Kasarova trotzdem noch weitersingen in einer szenisch wie musikalisch eindringlichen Interpretation, an deren Erfolg auch Susanne Füllers Kostüme und Matthias Schallers Bühne ihren Anteil haben. Atemberaubend ist der synästhetische, auch orchestral glanzvoll illustrierte Ausblick auf Blaubarts weite, wüste Seelenlandschaft, für die sich die Bühnenarchitektur weit öffnet.
WDR 3 Opernblog, Richard Lorber
Kurt Weill, „Die sieben Todsünden“ und Béla Bartók, „Herzog Blaubarts Burg“ in Wiesbaden
[...] Philipp Pointner [...] machte aus der Kurzoper eine veritable Symphonie mit allem, was dazu gehört: großer musikalischer Geste, farbenreiches Klangspiel, Bögen der Steigerung und motivische Feinarbeit. Diese Musik war so mehr als nur der Rahmen für die Wiederaufnahme von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung aus dem Jahr 2015, die die Begegnung des Herzogs mit Judit zu einer privaten Angelegenheit macht und bei der sich die Geheimnisse der sieben Türen seines Schlosses in einer Aktentasche wiederfinden.
Diese überaus intelligente Brechung des quasi mythischen Geschehens verlängern Vesselina Kasarova als Judit und Johannes Martin Kränzle als Herzog in ihrem Bühnenspiel, Kränzle, der einen nicht unsympathischen, zur Zärtlichkeit fähigen, aber irgendwo gewöhnlichen Liebhaber gibt, der sich, was man ihm nicht zugetraut hätte, erst am Ende als Frauenmörder entpuppt. Und Kasarova zeigt die Judit auch in einer gewissen Beiläufigkeit, zu der freilich auch gehört zu reflektieren, zu fordern und zu verführen. Aber immer so wie es jeden Tag in Wohnzimmern, Lounges oder in Hotels stattfinden könnte.