Glückliche Tage
4. Juni 2020 - Premiere
11., 17., 26. Juni 2020
3. Juli 2020
Weitere Informationen und aktuelle Besetzungen unter www.staatstheater-wiesbaden.de
Matthias Bischoff, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Vom Reifrock verschluckt - An Absurdität nicht zu überbieten: Uwe Eric Laufenberg hat in kürzester Zeit Samuel Becketts "Glückeliche Tage" auf die Bühne gebracht.
Dabei bietet Uwe Eric Laufenbergs Beckett-Trilogie, nach „Glückliche Tage“ folgen „Endspiel“ und „Warten auf Godot“, die in kürzester Zeit geprobt und nun als den Umständen angepasstes Theater-Notprogramm bis zu den Sommerferien mehrfach gespielt werden sollen, mehr als nur ein trotziges Aufbegehren gegen die Bühnensperre. Eine bessere Gelegenheit, sich einmal unter sehr besonderen Bedingungen drei Theaterhöhepunkten des zwanzigsten Jahrhunderts zu nähern, sie auf überdimensionierter Bühne, nahezu ohne alle Geräusche des Publikums hochkonzentriert und in bequemer Sitzhaltung zu sehen und zu hören, wird sich so bald nicht mehr bieten. Mancher wird sagen: Hoffentlich.
Wäre das ganze Drumherum nicht den notwendigen Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln geschuldet, müsste man Laufenberg für den genialen Einfall loben, allein schon durch die grotesken Größenverhältnisse und den riesenhaft leeren Raum für die auf ein theatralisches Minimum reduzierten Kammerspiele Becketts einen an Absurdität kaum überbietbaren Rahmen gefunden zu haben. Rolf Glittenberg hat die große Bühne mit ein paar Stellwänden begrenzt und einige Möbel aus den fünfziger Jahren im Raum verteilt. Vorne in der Mitte ragt der Oberkörper einer Frau aus einem Hügel, der hier aber mehr wie ein übergroßer Reifrock wirkt, die verschieden großen schwarzen Bommeln daran, die wie wohlgeformte Erdklumpen auch sonst auf der Bühne verteilt sind, verstärken dieses Eindruck (Kostüme Marianne Glittenberg). Evelyn M. Faber spielt die von diesem höchst kommoden Erdhügel verschluckte Winnie anfangs mit ein wenig forciert burschikosem Ton, trifft aber bis zur kurzen Pause immer genauer die Balance zwischen existentieller Lebenskrise und dem autosuggestiven Darüberhinweglächeln. Mit ihrem raumgreifenden Halbkugelrock ist sie für die an sich immobile Winnie verblüffend beweglich, rollt mal in diese, mal in jene Ecke des Raumes. Bloß an den Schalter der Musikanlage kommt sie nicht, was sie hört, etwa das herzbewegende Trio aus dem „Rosenkavalier“, kommt als Schicksal über sie, sie muss es hinnehmen, wie alles.
Ihr Mann Willie (Gottfried Herbe) ist in Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung durchweg sichtbar. Laufenberg lässt ihn im Hintergrund nahezu jedes Sitz- und Liegemöbel durchprobieren, und während Winnie vorne ihre Lebenslust und Lebensverzweiflung übergangslos ausbreitet, faltet er Zeitungen, liest ein Stückchen, legt sie wieder zusammen und sich schließlich auch wieder aufs Sofa. Ein Brummen, eine Bejahung oder Verneinung, mehr ist von ihm nicht zu hören. Im kurzen zweiten Teil, wo von Winnie nur noch der Kopf aus einem aufrecht stehenden Bett-Sarg zu sehen ist und ihr innerer Monolog größtenteils vom Band kommt, schenkt die Regie ihm einen großen absurd-surrealen Moment. Im Frack tanzt er zu Sinatras „New York, New York“ über die Bühne, um schließlich vor der schon halb gestorbenen Winnie theatralisch zusammenzubrechen. Und so war auch dieser letzte Liebestanz, obwohl sicher nur von Winnie imaginiert, ein weiterer Beleg für einen „glücklichen Tag.“
Bettina Boyens, Frankfurter Neue Presse
Nichts ist komischer als das Unglück - Premieren von drei Beckett-Stücken im Staatstheater Wiesbaden
Gleich mehrfach wirbelten Unglücksfälle die Premieren der frisch auf den Spielplan gesetzten Beckett-Trilogie "Glückliche Tage", "Warten auf Godot" und "Endspiel" im Hessischen Staatstheater Wiesbaden durcheinander: Nicht nur die strengen Corona-Beschränkungen, auch die kurzfristige Erkrankung des doppelt besetzten Michael Birnbaum sorgte für zwei spektakuläre Einspringer: Philipp Appel übernahm quasi über Nacht den gewaltigen Part Birnbaums als Clov in "Endspiel" und Intendant Uwe Eric Laufenberg dessen bedeutende Wladimir-Partie in "Warten auf Godot". Dabei wurde Laufenbergs beständiger Kampf mit Souffleur und absurden Skript zum unfreiwillig bitterkomischen Symbol der aktuellen Theatersituation: Schlagfertiges Improvisieren, vorsichtiges Lavieren auf Sicht und immer ein aufmüpfiges "Jetzt erst recht!" Das wohl berühmteste, gemeinsam alt gewordene Schauspielerpaar Wiesbadens eröffnet die Trilogie beziehungsreich als Winnie und Willie in "Glückliche Tage". Evelyn M. Fabers Winnie steckt nicht wie üblich in einem Erdhügel fest, sondern in einem barocken, überdimensionalen Reifrock, auf dem sich Corona-verdächtig anmutende Knäuel breit gemacht haben (Bühne und Kostüme: Glittenbergs). Sie kann mit diesem Ungetüm zwar durch das Zimmer gleiten, aber mit der ausgestreckten Hand weder das Radio einstellen noch ihren Mann berühren. [...]
Im zweiten Akt steht sie aufrecht in einem Krankenbett und kann auch ihre Arme nicht mehr bewegen. Der Reifrock steht vor ihr wie eine Erinnerung an glorreiche Zeiten. Während sie weiter ihren glücklichen Tag beschwört, tanzt Willie plötzlich als surreale Fata Morgana zu Sinatras "New York"-Hit durchs kalte Krankenzimmer. Ein herzzerreißend gelungener Coup des Regisseurs Laufenberg.
Faber ist es auch, die im Tag darauf folgenden "Endspiel" den wichtigsten Satz spricht. Als Mutter Nell in der Mülltonne kauernd, behauptet sie: "Nichts ist komischer als das Unglück." Und wieder ist es das greise, vom quälfreudigen Sohn Hamm vernachlässigte Paar, das am schrillsten und treffendsten die grausame Realität der Senioren unserer Tage spiegelt. Christian Klischat (Hamm) thront dazu kontrastreich als cooler Gangster im Sessel, der von seinem dressierten Diener Clov (Philipp Appel) in der untergehenden Welt mindestens so abhängig ist wie er von ihm. Klischat treibt den Sadismus als peitschenknallender Pozzo in "Warten auf Godot" später auf eine traurige Spitze. An der Leine peinigt er Atef Vogel als Sklave Lucky bis aufs Blut. Einspringer Laufenberg ringt hier zum einen als humorvoll- anarchischer Wladimir abwechselnd mit der Soufflage Appels und seinem immer wieder aufgeschlagenen Textbuch, bildet aber als laut polternder Charakter einen reizvollen Kontrast zur intensiven Elegie Estragons in Gestalt von Bill Weiser. Von diesem Abend wird vor allem die eindrückliche "Corona"-Umarmung in Erinnerung bleiben. Denn die beiden Tramps können sich nur auf Abstand trösten: Zuvor müssen sie eine Stocklänge von 1,5 Metern zwischen sich gelegt haben.
Während an den drei Abenden Stillstand, Enttäuschung und Komik ineinandergreifen, korrespondiert der bange Blick ins Zuschauerhalbrund mit nur 200 verkauften Karten, abgezählten Leerreihen und den jeweils drei vakanten Plätzen zwischen den Besuchern mit dem absurden Spiel auf der Bühne. Niemals drängten sich leere Sitze so dreist ins Bewusstsein, niemals zuvor blieb der Blick an jedem einzelnen Zuschauergesicht haften wie jetzt. Die beschädigte Einsamkeit jedes Einzelnen berührt dabei so pur wie Becketts Sprache.
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
Winnie und Willie im Salon - Das Staatstheater Wiesbaden startet seine Beckett-Trilogie als erste Schauspielpremiere weit und breit.
Die erste Schauspielpremiere seit drei Monaten, auch sie in Wiesbaden. Der Intendant des Staatstheaters, Uwe Eric Laufenberg, hat hier am 4. Mai mit den Proben begonnen, bevor klar war, ob eine Aufführung am Ort möglich sein würde. Angekündigt war andernfalls ein Online-Angebot, dazu die Ausstrahlung an einer Außenwand des Theaters. Eine gewisse Entschlossenheit muss dabei schon eine Rolle spielen, jetzt jedenfalls konnten Menschen im Großen Haus zusehen. Von den Konzerten der vergangenen Wochen ist das Prozedere bereits wohlvertraut.
Geplant war und kommt jetzt wohl auf zur Aufführung eine „Beckett-Trilogie“ (wegen Krankheit im Ensemble musste die Reihenfolge geändert werden), die mit Samuel Becketts „Glückliche Tage“ begann, am Freitag mit seinem „Endspiel“ fortgesetzt und am Samstag mit „Warten auf Godot“ abgeschlossen werden sollte.
Sehr glücklich der Beginn mit den „Glücklichen Tagen“, wo das Ehepaar Evelyn M. Faber und Gottfried Herbe spielte, eine hygieneregelfreundliche, aber auch dem Stück und schließlich erst recht dem Publikum entgegenkommende Besetzung. Die klare, kühl lakonische Stimme von Faber ist seit Jahrzehnten ein Grund, hier ins Theater zu gehen, jetzt gibt sie einer großartigen, geerdeten, jugendlich wirkenden Winnie den perfekten Dreh ins Nüchterne. Sie ist nicht sentimental und keine Diva, aber gerade darum imponiert ihr Durchhaltewillen, und ihr scharfes „Na ja“ durchschneidet die Luft. Hinten lungert Herbes Willie und liest Zeitung, ein müder Zottel, der nach der Pause – ad hoc in Abendgarderobe – auf „New York. New York“ fabelhaft tanzen wird. Nicht nur durch die Konstellation ist hier weit mehr vom Ehedrama zu spüren als sonst. Das liegt am unaffektierten Spiel, aber ebenso am Verzicht auf postapokalyptische Andeutungen. In Wiesbaden wird ein privates Drama erzählt. [...]
Der Applaus sehr erheblich, vor allem für das spielende Duo, und auch insgesamt ermutigend.
Birgitta Lamparth, Wiesbadener Kurier
Die Ruferin in der Wüste - Erste Premiere mit Corona-Abstand auf der Wiesbadener Bühne: Becketts "Glückliche Tage"
[...] Und ein insgesamt starker, kompakter Abend von anderthalb Stunden (plus Pause). Mit einer hinreißenden Winnie: Evelyn M. Faber spielt sie facettenreich, bewahrt immer ihre Würde. Auch Gottfried Herbe überzeugt als wortkarger Willie. Laufenberg hat diese beiden gut geführt, hält dabei mit leichter Hand die Balance zwischen Tragödie und Komödie. Und der Abstand? Ergibt sich hier fast von selbst. Dabei könnten sich die beiden durchaus nahekommen: Faber und Herbe sind auch im wahren Leben ein Ehepaar.