Der zerbrochne Krug

Komponist/Autor
Heinrich von Kleist
Inszenierung
Uwe Eric Laufenberg
Bühne
Rolf Glittenberg
Kostüme
Rolf Glittenberg
Mit
Premierenbesetzung 2019.2020 => Adam | Michael Birnbaum * Walter | Uwe Kraus * Licht | Paul Simon * Eve Rull | Lena Hilsdorf * Ruprecht Tümpel | Christoph Kohlbacher * Veit Tümpel | Benjamin Krämer-Jenster * Frau Marthe Rull | Evelyn M. Faber * Frau Brigitte | Mira Benser * Erste Magd | Sophie Pompe * Zweite Magd | Elke Opitz * Büttel | Mats Beyer * Ein Bediensteter | Wolfgang Behrens
Termine

Spielzeit 2019.2020 / 2021.2022 / 2022.2023

Rezensionen
31.10.2019

„Der zerbrochne Krug“: Eves Alptraum

Kleists „Zerbrochner Krug“ überzeugt in Wiesbaden auf ganzer, ausführlicher Linie.
Der Text von Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ entfaltet sich im Staatstheater Wiesbaden jetzt auf unerwartet intensive Weise. Das Projekt, das Stück einmal ohne die geringste Streichung (so jedenfalls versichern die Wiesbadener) zu spielen, klingt zunächst gar nicht so plausibel. Es klingt ehrlich gesagt sogar so, als hätte man es sich einfach machen wollen.

Dann aber ist erstens die Kraft der Kleist-Sprache enorm, diese gewandte, noch im Stockrigen treffliche, völlig natürliche Sprache, die so dicht an den menschlichen Seelen entlanggeht, dass sekündlich etwas Interessantes vorfällt, nämlich empfunden oder gedacht, zugegeben oder gelogen oder gescherzt wird. Und nichts erscheint überflüssig.

Zweitens verschieben sich die Akzente anregend. Der Wiesbadener „Krug“ ist kein Solo für Adam mit dazwischengeschaltetem Marthe-Rull-Solo, stattdessen ein psychologisches Geflecht, in dem es emotional wabert und werkelt, auf unterschiedlichem intellektuellen Niveau und mit unterschiedlichsten Interessen, es flirrt geradezu vor Aufregungen und Nebenaufregungen, und selbst Vater und Sohn Tümpel verlassen die Sphäre des Genrebildes und werden zu Menschen, die zwar nicht genau verstehen, was los ist, aber doch mit Leib und Seele betroffen sind. Wenn Eve ihren Ruprecht schließlich – greifbar der Druck, der von ihr weicht in diesem Moment – auf Adam hetzt wie einen Hund auf den Einbrecher, ist das von einer Wucht und Energie, die eben in Ruhe vorbereitet werden musste, um diese Explosivität herzustellen. Die Echtzeit der Handlung beträgt nun einleuchtende zwei Stunden und zwanzig Minuten, die pausenlos durchgespielt werden.

Drittens wissen Regie und vortreffliches Ensemble die Lebendigkeit des Textes auf der Bühne – einem grauen, aber lichten, nach hinten sich verengenden Saal von Rolf Glittenberg, der zudem für klassische, aber staubfreie Kostüme gesorgt hat – auch zu beglaubigen. Dabei ist der „Krug“ in der Inszenierung von Intendant Uwe Eric Laufenberg kein Fall für Erzkomödiantentum. Es sind schlitzohrigere und lustigere Adams denkbar – und tausendmal auf deutschen Bühnen vorgekommen – als Michael Birnbaum, dessen aber ebenfalls erheblicher Witz im knochentrockenen Raushauen seiner Zeilen besteht. Auch sein verhältnismäßig junger Adam muss ständig improvisieren, um sich den Strick vom Hals zu halten, Birnbaum macht das wunderbar beiläufig, dabei auf Draht, ständig sieht man ihn auch als Beobachter der nächsten Wendung. Aber sein Schlingeln und Schlängeln nimmt den anderen Figuren nicht den Platz weg.

Marthe Rull ist ebenfalls aus dem Korsett der „Paraderolle“ befreit und gewinnt gerade dadurch Format und Schwung: Evelyn M. Faber ist eine agile, aber nicht zu theatralische Anklägerin, ihre Empörung ist klug nach innen verlagert – zum Unausgesprochenen, dass es hier um mehr geht als um den Krug. Gleichwohl ist es eine in der Ausführlichkeit bezaubernde (und sehr Kleistische) Szene, in der Faber hundert Jahre lang den Krug beschreibt und die anderen nicht umhin können, ebenfalls genauer hinzuschauen: Selbst die Tümpels treten allmählich näher, Benjamin Krämer-Jenster und Christoph Kohlbacher. Der hier spannend undurchschaubare Gerichtsrat Walter, Uwe Kraus, guckt und staunt, bevor er wieder (vergeblich) versucht voranzukommen. Neben Lüge und Wahrheit gehören ein ständiges Auf-die-Tube-Drücken und zugleich Verzögern zum Stück und können sich diesmal geruhsam verteilen.

Als gewandter, nicht besonders schleimiger Licht ist noch Paul Simon zu sehen, den man den ganzen Abend über nicht unaufmerksam erwischen wird. Allen, die meisten ständig im Bühnenvordergrund, wird hohe Konzentration abverlangt.

Mit dem Auftritt der hier sanft spinnerten Frau Brigitte, Mira Benser, dem ersten exaltierten Ereignis, leitet sich ein Bruch ein. Schon zuvor ist auch die Figur der Eve, Lena Hilsdorf, markanter als sonst. Jetzt aber wird sie zur tragischen Figur und das Stück zur Tragödie. Der von Kleist selbst nach dem Debakel der Uraufführung gestrichene Auftritt, in dem Eve (scheinbar wiederholend) schildert, was am bewussten Abend passiert ist, wird nicht nur komplett verwendet. Der inzwischen entsprungene Adam taucht auch wie in einer Rückblende wieder auf. In die Mitte der Szene lässt Laufenberg eine Vergewaltigung Eves setzen, hier also (im Nachhinein) von allen gesehen, Schrecken, Ekel, Fassungslosigkeit in den Gesichtern. Das ist ein krasser Moment, der der Figur Adam den Garaus macht, denn Adam ist selbst in Birnbaums ungemütlicher Darstellung gewiss kein Vergewaltiger (schreibt man und denkt sich, woher man das wissen will). Andererseits wird es durch das Unaussprechliche auch ein Schlag, der sitzt. Kleist hat keine Worte dafür: Weil es nicht passiert, aber auch, weil keiner es sagen könnte, wenn es doch passiert wäre, Worte hat er aber für Eves Beklemmung, als sie sich fragt, wieso sie Adam hereingelassen hat. Das ist nicht weniger modern, als eine entsprechende Szene in Siri Hustvedts Roman „Damals“, um ein aktuelles Beispiel zu nennen.

Die Aussicht auf einen guten Ausgang ist so freilich versperrt. Diese Variante bietet Kleist durch eine Volte auch selbst: Dass Ruprecht als Rekrut nach Batavia verschifft werden könnte, bleibt in der Schwebe, und bei Laufenberg scheint es gewiss. Das ist die andere Seite der Komödie, wie überzeugend vorgeführt wurde.

01.12.2019

"Ein grandioser Theaterabend mit herausragenden Schauspielern."

26.11.2019

Kleist: „Der zerbrochne Krug“ – Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Der Prozess

Es ist nicht ganz einfach, einem in die Jahre gekommenen und immer wieder gespielten Stück wie dem „zerbrochnen Krug“ neue Nuancen zu entlocken.

Noch schwerer ist es, einen Text in syntaktisch extrem anspruchsvoller Sprache und ein Stück, in dem nichts passiert, sondern alles bereits geschehen ist, so auf die Bühne zu bringen, dass dennoch Spannung entsteht.

Regisseur Uwe Eric Laufenberg ist in Wiesbaden beides überzeugend gelungen. Weder gibt es Aktualisierungsbemühungen, noch hat er versucht, unbekannte psychologische Tiefendimensionen zu erschließen oder die Ereignisse gar drastisch zu vergröbern. [...] Konkret heißt das: Laufenberg lässt Wort für Wort den vollständigen und ursprünglichen Text des Dramas spielen, inklusive der später aus Schicklichkeitsgründen getilgten entlarvenden Schlussszene. Er hat ganz und gar auf reflektierte Werktreue gesetzt und jede Nuance gekonnt ausgelotet.

Das für heutige Verhältnisse ungewöhnlich kühne Experiment ist bis ins kleineste Detail gelungen und beschert den Zuschauern Einblick in einen ausgesprochen lehrreichen Prozess. Natürlich gehen im Verhör die Meinungen über das, was denn in der Nacht, als der Krug zerbrach, vor sich gegangen sein könnte, weit auseinander, und die Verhandlung besticht mit unglaublich vielen Behauptungen, Lügen und Wutausbrüchen, mit opportunistischen Wendungen, geschickten Winkelzügen – und Absurditäten.

Denkt man an Vergleichsfälle, etwa an Kleists Michael Kohlhaas oder an Kafkas Prozess, so wird deutlich, dass und wie sich auch hier ein eher banales Ereignis im Verlauf des Prozesses zu einer existenziellen, lebensbedrohlichen Situation aufschaukelt. [...]

Der Richter

Versoffen, halt- und rücksichtslos, plump und dreist – so kennt man den Dorfrichter Adam – eine Art norddeutscher Falstaff. Und all das bekommen wir auch hier geboten. Und ein ganzes Stück mehr. Zerschunden von den Abenteuern der vergangenen Nacht hinkt ein Individuum in desatrösem Zustand auf die Bühne – blutig vom kahlen Kopf bis zum Fuß, doch selbst in diesem jämmerlichen Zustand herrisch und dominant.

Die scheinbare Behaglichkeit hat erkennbar einen doppelten Boden – und der Dorfrichter hat durchaus das Zeug zum Vergewaltiger u n d die Raffinesse, Tücke, Reaktionsschnelligkeit und Geschicklichkeit, sich der Strafe zu entziehen. [...]

Was mit dem Streit um einen im Handgemenge zu Bruch gegangenen, wertvollen, weil mit Erinnerungen beladenen Krug beginnt, wird sich Zug um Zug als Drama mit weit weniger harmlosem Hintergrund erweisen. Es geht um nichts weniger als die hinterlistige Täuschung und Vergewaltigung der jungen Eve durch genau den, der über sie zu Gericht sitzt. Nachweisen lässt sich dieser Sachverhalt allerdings erst ganz am Ende, nach qualvollen Ablenkungsmanövern, Verdächtigungen Unschuldiger und irrwitzigen Abwegen – selbst der klumpfüßige Satan steht eine Zeitlang als Hauptverdächtiger zur Diskussion.

In der meist ausgelassenen (um nicht zu sagen: unterschlagenen) Schlussszene wird das Geschehen der unseligen Nacht auf Basis der Aussagen Eves minutiös rekonstruiert, einschließlich der mit sachlicher Selbstverständlichkeit nachvollzogenen Vergewaltigung. Damit wird die Szene ihrerseits zum Tribunal über das vorausgegangene korrupte Tribunal. Endlich – möchte man erleichtert sagen…wenn nicht…

Das Urteil

…wenn es nicht bereits zu spät wäre für ein Happy End. Der Täter – reaktionsschnell und skrupellos wie immer – entwischt ungestraft.

Das unglückliche Paar, man ahnt es, wird nach all den Verleumdungen, Kränkungen und Beleidigungen nie wieder zueinanderfinden. Und selbst der bislang nüchtern und sachlich argumentierende Gerichtsrat, der dem krummen Verfahren seines Kollegen eher fassungslos zusah und sich – intern, seine Über-Macht über den Kollegen ausspielend – zu korrigierenden Eingriffen genötigt sah, erweist sich nun als ziemlich fragwürdig und auch seinerseits durchaus nicht frei von einem klebrigen Interesse an der jungen Frau. Die Mutter merkt auch das wieder nicht, keift und rechtet aber munter weiter – erkennbar ist das Virus des wechselseitigen Misstrauens nach dieser Gerechtigkeitsfarce in die Gesellschaft eingedrungen. Wie auch? In einer Welt, in der jeder seine eigenen Wahrnehmungen oder zusammengeschusterten Behauptungen – auch wenn sie auf noch so schwankendem Grund stehen – absolut setzt und nur eines im Sinn hat: persönliche Verantwortung abzustreiten, kann es kein Vertrauen geben.

Das Tribunal wird zur Szene

So stand Laufenberg vor der Aufgabe, diesem Gespinst von Möglichkeiten und Fiktionen einen konkreten Ort zuzuweisen. Er und sein Bühnenbildner Rolf Glittenberg entschieden sich für einen tiefen Raum mit mittigem Richtertisch. Kahle, weiß übertünchte Wände, nach hinten zu immer unansehnlicher, verwinkelter. Stühle für Kläger und Angeklagte werden sorgfältig auf- und am Ende wieder abgebaut. Eine improvisierte Gerechtigkeitsbude, die säuberliche Biederkeit verströmt und die perfekte Tarnung für innere Verwahrlosung ist.

Keiner weiß so recht, wie er sich in dieser Situation zu verhalten hat – Unsicherheit, Ängstlichkeit, gespielte Präpotenz, Misstrauen und echte Verzweiflung, geifernde Anklage und zittrige Verteidigungsversuche wechseln einander in rasantem Tempo ab – keinem der betroffenen Akteure ist ein Moment der Ruhe gegönnt – außer dem eigentlichen Opfer dieser Zuschreibungs- und Verdächtigungslawinen, die auf sie niederprasseln.
„Der zerbrochne Krug“ am Hessischen Staatstheater Wiesbaden
Im Bild: Lena Hilsdorf, Michael Birnbaum, Mira Benser, Christopher Kohlbacher, Benjamin Krämer-Jenster, Evelyn M. Faber, Uwe Kraus
/ Foto: ©Karl & Monika Forster

Umso überraschender, wenn Eve – ein echter Kleist Moment – am Ende ruhig, gefasst und hochkonzentriert die nackte Wahrheit ausspricht, nachspielt, über sich ergehen lässt. Und alles die schlimmst mögliche Wendung nimmt: Da ist keiner, der diese, die Institution der Justiz beschämende Wahrheit zu hören wünscht. Die Mutter hat nach wie vor den häuslichen Schadensfall im Sinn und strebt nach der nächsthöheren Instanz. Der „Verlobte“, der denkt, mit dem Nachweis seiner Unschuld wäre die Unschuld wiederhergestellt – doch Evchens Hand zuckt zurück. Der Gerichtsrat, der das große Ganze im Auge hat – und sogar bereit ist, Schweigegeld zu zahlen.

Schmuddelig hat dieser Prozess begonnen. Laufenberg und seine großartigen Schauspieler zeigen gekonnt, dass er auch schmuddelig endet.

28.10.2019

Wie aus einem Guss
Original und doch ganz neu: Kleists „Der zerbrochne Krug“ in Wiesbaden

„Junge Leute wollen Stücke sehen, keine Inszenierungen“: Das war der Tenor eines Beitrags kürzlich im „Stern“ darüber, warum die nachwachsende Zuschauergeneration heute seltener ins Theater gehe. Mit dem Appell an die Regisseure verbunden, sich „vielleicht mal ein bisschen zurückzunehmen“.

Wie man beides – den Klassiker an sich und die behutsame Inszenierung – zu einem insgesamt packenden Abend zusammenbringen kann, zeigt jetzt Uwe Eric Laufenbergs Einrichtung von Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ im Kleinen Haus des Wiesbadener Theaters. Dabei geht der Intendant durchaus ein Wagnis ein: Er hat sich für den ungekürzten Kleist’schen Stoff von 1808 entschieden. Er enthält auch den fast nie gespielten, so genannten „Variant“ zum Schluss: Eve erzählt darin den genauen Tat-Hergang.

So dehnen sich bei diesem „Kleist pur“ auch Zeugenaussagen, bei denen Dorfrichter Adam von seiner eigenen Schuld abzulenken sucht, in der Mitte des fast zweieinhalbstündigen Abends mitunter dann doch. Aber wenn man dann diesen „Variant“-Schluss sieht, erscheint es beinahe zwingend, ihn zu spielen – so zu spielen. Denn der Regisseur lässt Eve nicht nur erzählen, sondern zeigt die Geschehnisse im Rückblick. Das ist ungeheuer spannend. Seine Interpretation: Es kommt in Eves Kammer dabei zur Vergewaltigung. Laufenberg macht das fest an Eves: „Zwei abgemessene Minuten starr mich an.“

Der „Variant“ macht vieles transparent

Was sonst im Nebulösen bleibt, wird hier aufgelöst: Über den „Variant“ werden nicht nur Eves Motive transparent, die den Liebsten Ruprecht vor der Verschiffung nach Asien bewahren will – auch Gerichtsrat Walter (souverän: Uwe Kraus) bekleckert sich dabei nicht mit Ruhm.

Viel Licht und Schatten also inhaltlich auf der sehr gelungenen grau-weißen Bühne von Rolf Glittenberg. Er ist auch verantwortlich für die Kostüme im Stil der 30er Jahre – ein Wink an die ausgehöhlte Gerichtsbarkeit auch dieser Zeit. Sein heller Prozess-Saal sieht aus wie nach einem Wasserschaden. Rechts an den Wänden riesige graue Felder wie Stockflecken, links dichten zusammengerollte Decken Bodenritzen ab. Der Krug – die Unschuld – ist zerstört, alles ist besudelt. Nach hinten verjüngt sich der niedrige, lichtdurchflutete Raum: Das spitzt sich optisch zu auf Gesetz und Ordnung, die hier ebenso in Auflösung begriffen sind, wie die verlotterten Akten im Lager.

Hier treibt er sein Unwesen: Dorfrichter Adam mit seinem Klumpfuß und den klaffenden Wunden auf dem kahlen Schädel, der allen Sand in die Augen streut – von Michael Birnbaum wie immer differenziert ausgeleuchtet zwischen derbem Macho und alertem Schwätzer. Seine rhetorischen Windungen sind gedrechselt wie die grauen Beine seines Richtertischs. Das Lustspiel läuft auch bei allen anderen auf eine oft lautstark-deftige Karikatur hinaus: die Gift und Galle spuckende Klägerin Marthe (Evelyn M. Faber), der schlitzohrige Schreiber Licht (Paul Simon), die völlig durchgeknallte Frau Brigitte (liefert ein Kabinettstückchen ab: Mira Benser), Büttel und Mägde (Mats Beyer, Sophie Pompe und Elke Opitz) – allesamt sind gut besetzt. Selbst Dramaturg Wolfgang Behrens ist als Bedienter an Bord. Lena Hilsdorf, Tochter des Regisseurs Dietrich Hilsdorf, glänzt als sehr plastische, verzweifelt-patente Eve. Und ein echter Gewinn der Inszenierung ist das nuancierte Spiel von Christoph Kohlbacher als ihr Ruprecht, seinen Vater gibt Benjamin Krämer-Jenster. Eine herausragende Ensembleleistung, diesen schwierigen Text so sicher lebendig werden zu lassen.

Ein Text, der nach wie vor auf vielen Schulplänen steht. Trotz nacktem Adam und Kopulation auf dem Richtertisch: Gerade für junge Zuschauer ist diese klassische Inszenierung zu empfehlen. Im Premierenpublikum jedenfalls saßen viele von ihnen – und auch sie feierten den überzeugenden Abend.

28.10.2019

"Der zerbrochne Krug": Wie eine E-Gitarre in der Sinfonie

Regisseur und Intendant Uwe Eric Laufenberg inszeniert „Der zerbrochne Krug“ am Staatstheater Wiesbaden in der ungekürzten Fassung. Mit mehr als zwei Stunden Spielzeit ist dies eine Herausforderung für das Publikum. Das starke Ensemble und Heinrich von Kleists Komik haben jedoch einiges zu bieten.

[...] Brav harrt man bis zum Ende aus und honoriert das auf allen Positionen stark agierende Ensemble sowie Regisseur und Intendant Uwe Eric Laufenberg mit dankbarem Applaus. Und tatsächlich ist es von der ersten bis zur letzten Minute ein Vergnügen, den brillant dahingleitenden Blankversen Kleists zu lauschen, die, gespickt mit urkomischen Sentenzen, von sämtlichen Schauspielern bravourös vorgetragen werden. Die Inszenierung auf Rolf Glittenbergs sich v-förmig öffnender Bühne ist hier glücklicherweise konsequent altmodisch oder besser: Sie folgt nicht der verbreiteten Unsitte, rhythmisierte Sprache durch Vernuscheln vorgeblich moderner und kommensurabler zu machen.

Ohnehin vertraut Laufenberg Kleist so sehr, dass er nicht dessen nach der Uraufführungskatastrophe zusammengekürzte Fassung spielt, sondern ebenjene Langversion, die den Skandal auslöste. Diese aber macht aus der Komödie mit doppeltem Boden am Ende ein Trauerspiel und verschiebt den Fokus vom Dorfrichter Adam (Michael Birnbaum) auf sein Opfer Eve (Lena Hilsdorf). „Kleist pur“ verspricht der Text im Programmheft [...]

Wenn man aber nun sicherstellen will, dass das Ungeheure der Tat verstanden wird, muss man die Vergewaltigung zeigen. Laufenberg macht aus der Erzählung Eves eine Art filmische Rückblende, lässt den zuvor entflohenen Richter unversehrt wieder auftreten und Eve drastisch auf dem Tisch vergewaltigen. [...]

[...] Der Glaube dieser jungen Frau an irgendeine Form privater oder staatlicher Gerechtigkeit ist der eigentliche zerbrochene Krug. Ihr Verlobter Ruprecht (Christoph Kohlbacher) und ihre Mutter Marthe (Evelyn M. Faber) haben an ihrer Treue gezweifelt, das eigentliche Verbrechen bleibt ungesühnt. Eve weiß sich nun in einer Welt der Willkür und des Rechts des Stärkeren. Lena Hilsdorf spielt die Ernüchterung des Mädchens mit versteinerter Miene. Alles Versöhnliche des Komödienschlusses wirkt nun erpresst, Eve weiß: Hier ist nichts mehr zu heilen.