Hedda Gabler
Spielzeit 2015.2016 / 2016.2017
Andreas Pecht, Rheinzeitung
Die Inszenierung des Schauspielklassikers „Hedda Gabler” von Henrik Ibsen durch Intendant Uwe Eric Laufenberg jetzt in Wiesbaden hätte das Zeug zum Skandälchen. Auch empfiehlt das Staatstheater den Besuch erst ab 14 Jahren. Denn im ersten Teil scheint es vornehmlich um das Eine zu gehen: schnellen Sex. Beiläufig von vorne, hinten, oben, unten mit Händen, Mündern, Leibern vollzogen – um betuliche Salonkonversation etwas zu pfeffern. Das Publikum nimmt den Realismus der angedeuteten Triebabfuhren gelassen. Man ist im Medienzeitalter allgegenwärtiger Lustbarkeitssdarstellung Ärgeres gewöhnt. Und: Da wird schließlich nur sichtbar ausgespielt, was im Stücktext von 1890 mannigfach angedeutet als Kopfkino zwischen den Zeilen steht.
(Es) entwickelt sich auf der Bühne ein bemerkenswerter atmosphärischer Dreischritt.
Erst wird mit leisem Boulevardhumor der Kontrast zwischen Heddas Begehrlichkeiten und der bei Janning Kahnert stets freundlich-drögen Spießigkeit des Gatten Tesman ausgeformt. Dann tritt die Inszenierung in ihre libidinöse Phase ein, wird Sex ohne Liebe zur Metapher auf die spaßerfüllte Leere des Heute. Parallel mischt sich mit Kruna Savić als Muse und Mitarbeiterin Eilerts das personifizierte Puristenprinzip Liebe ohne Sex ins Geschehen. Das führt schließlich dazu, dass quasi Ibsen wieder selbst das Regiment übernimmt: In der tragischen Endphase geht es um Heddas Macht über die Schicksale und die letztliche Vergeblichkeit ihres Bemühens, aus sinnloser Kurzweil Lebenssinn schöpfen zu wollen.
So gesehen, erreicht Laufenbergs teils drastische Inszenierung etwas, das im Theater für den Umgang mit Klassikern wünschenswert ist: Sie stellt weitgehend stimmige und bedenkenswerte Bezüge zwischen dem Gehalt des alten Stückes und unserer Gegenwart her. Umbruch war damals, Umbruch ist heute wieder – auf seltsamen Wegen, über deren Verlauf und Ziel Ibsen damals grübelte und wir jetzt dringend grübeln müssten.
Zentrum der Begierden ist die Titelfigur: Hedda, verwöhnte Generalstochter, jungverheiratet mit dem langweiligen Wissenschaftler Tesman, bildschön, lebensdurstig, frustriert, dünkelhaft, freiheitssüchtig, untüchtig, egozentrisch, verträumt, intrigant, begehrenswert und begehrend. Eine schillernde Frau, deren Widersprüchlichkeit seit jeher eindeutige Parteinahme schier unmöglich macht. Bei Judith Bohle ist sie in guten Händen. Die Titeldarstellerin versteht sich fabelhaft auf das Wechselspiel zwischen Damenhaftigkeit, Girly-Stil und hemmungsloser Erotomanin.
Sie reitet den Gatten, der ihr jedoch nie genug bieten kann – sexuell wie materiell. Sie vergnügt sich mit Richter Brack, Freund des Hauses, der in der Spielweise von Uwe Kraus allzeit-geil auf eine geheime Menage a Trois hinarbeitet. Sie wälzt sich lusttoll mit ihrer alten Liebe Eilert (Tom Gerber) – unsteter, aber lebenssaftiger Studienkollege und Konkurrent ihres drögen Gatten – auf dem Wohnzimmerboden. Ihn wird Hedda schließlich vernichten, in den Suff zurück- und in einen „schönen” Selbstmord hineintreiben: Das nur, damit in dem von ihr als banal empfundenen Leben einmal „etwas Großes” geschieht. Als daraus nichts wird, gibt sich Hedda die Kugel.
Dr. Josef Becker, BILD
Judith Bohle ist grandios, der Alptraum einer Frau, total unauffällig, subtil durchtrieben, böse Zicke, neugierig berechnend, dazu nymphoman. So viel Geschlechtsverkehr in so kurzer Zeit gab es auf Wiesbadens Bühne wohl noch nie. Diese Hedda treibt es mit Jedem und Jeder jederzeit.
Ihr Mann Tesman (Janning Kahnert) wird als Schlappschwanz charakterisiert.
Er kommt, bevor er noch die Hose runter hat. Freund Brack (Uwe Kraus) dagegen reckt als geiler alter Sack den nackten Hintern dem Publikum entgegen.
Kruna Savic zeigt anrührend scheiternd, am Ende doch siegreich das weibliche Gegenbild, sie rettet und inspiriert den labilen Eilert (Tom Gerber), bis er wieder Hedda in die Hände fällt. Die treibt ihn in den Tod.
Angeregter Beifall.
Wertung: SEHR GUT
Viola Bolduan, Wiesbadener Kurier
Judith Bohle wird sich apart durch ihre Rolle als Gelangweilte und Unzufriedene spielen, bis Hedda aus unerfüllter Sehnsucht selbst mit anderen spielt und die nicht auszulebende Lebensgier ins Zerstörerische umschlägt. Ihren Vitalitätsdrang übersetzt Regisseur Laufenberg ins Sexuelle.
(Dann) steigert sich die Inszenierung zu ihrem Höhepunkt: Hedda und ihr Ex, das doch noch immer wilde Genie Eilert Lovborg (glaubwürdig: Tom Gerber), zielen mit ihren Pistolen aufeinander – genussvoll lange zu Wagners „Liebestod“. Ein wunderbarer Moment, in dem die Vision von Schönheit und Liebe im Leben ihr eigenes Ende schon mit eingeschlossen hat. Erschießen werden sich beide später je einzeln.
Die Aufführung ist Ibsen pur, angereichert mit Musik für die künstlerische Form, in der sich die von Hedda gewünschte Entgrenzung hätte ausdrücken können, ausgeführt von einem exzellenten Ensemble von Helga Schoon (barsche Berte) und Monika Kroll (subtil neugierige Tante Jule) über Kruna Savic als rührend verklemmt liebende Thea und Uwe Kraus (...), über die von Susanne Füller besorgten Kostümunterschiede für die konkurrierenden Männer Eilert und Jorgen bis zur Hedda der Judith Bohle, die in ihrer Partie alles bieten muss: das teilnahmslos Laszive, die verführerische Manipulation und das selbstbestimmte Ende. Sie kann das. Und der Applaus erkennt alle Leistung an.
Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau
Die Regie aber setzt hier auf einen anderen Kontrast. Aus dem Off und vom Klavier im Nebenzimmer erklingt allenthalben der Rest vom Liebestod, aber außer Hedda weiß im Heimchen des braven, arg engstirnigen Gelehrten vermutlich keiner, welche Musik hier spielt. Nur für Hedda ist der schaurige Gegensatz zwischen dem Erhabenen und dem Lachhaften präsent. Das kann man so sehen.
Astrid Biesemeier, Frankfurter Neue Presse
Doch Hedda hin, Gabler her: Auch die Menschen, die in der kühl-modernen und leeren Villa der Tesmans mit Blick auf einen Fjord aufkreuzen, sind nicht angenehm. Tante Jule (Monika Kroll) will Hedda partout als Gebärerin und Mutter, Richter Brack (Uwe Kraus) stiert sie lüstern-schmierig an und verhält sich so, als sei seine Geilheit auch die ihre. Und was zu viel Aufopferung mit einem Menschen macht, kann Hedda an Thea sehen, die wie eine verschüchterte, allzu brave Konfirmandin wirkt und nicht nur optisch in den 50er Jahren steckengeblieben ist. Und Janning Kahnerts Tesman zeigt beim Bücherschleppen mehr Ausdauer als beim Sex.Das entschuldigt zwar nicht Heddas Verhalten, könnte aber das Verhalten einer Hedda ansatzweise erklären, die ihre Umgebung immer wieder beobachtet. Und der Rest ist Bohles Geheimnis.
Shirin Sojitrawalla, Nachtkritik
Ibsens pornografischer Naturalismus
Intendant Uwe Eric Laufenberg oversext Hedda und das nach ihr benannte Stück genüsslich. Nymphoman dirigiert sie bei ihm nicht nur ihren Gatten aufs Sofa, sondern lässt sich auch von Richter Brack lecken und revanchiert sich ein paar Sätze später per Blowjob bei ihm. Auch der mauerblümchenhaften Thea (Kruna Savić) schiebt sie ihre rigorose Hand unter den Rock, gar nicht zu reden von ihrem einstigen Geliebten Eilert Løvborg. Quickie, Cunnilingus und Fellatio absolviert der Abend dabei spielend und, wie es sich bei Ibsen gehört, ausreichend naturalistisch. (...)
(Es) nimmt keine zwei Tage in Anspruch, wiewohl es einem in Wiesbaden länger vorkommen mag. Trotzdem gelingt ein sehr okayer Abend, stringent erzählt, ohne vom Wesentlichen abzulenken. Beinahe drei Stunden lang umkreist die Inszenierung Hedda Gablers Persönlichkeit, die sich vorschnellen Diagnosen entzieht. Judith Bohle mimt die Vatertochter in all ihrer Rätselhaftigkeit und wahrt dabei das Geheimnis von Heddas So-Sein.
Axel Zibulski, Op-online.de
Wiesbaden - Plötzlich fallen die Hüllen. Immer wieder steht jemand nackt da, weil die Kleidung nicht mehr zu ertragen ist, ähnlich den Konventionen, den Worthülsen, dem Standesdünkel. Von Axel Zibulski
Kaum auszuhalten, wie Jørgen Tesman, Hedda Gablers ungeliebter, staubtrockener Ehemann, jeder Floskel noch ein herablassendes „was?“ hinterherschiebt. Schauspieler Janning Kahnert gelingt das im Wiesbadener Staatstheater ganz herrlich, ganz enervierend beiläufig. Seit Hedda Gabler 1891 erstmals auf die Bühne getreten war, gehört sie zu den oft gezeigten, großen Frauenfiguren des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen. Auch Uwe Eric Laufenberg, Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, hat sie nun auf die Bühne seines Kleinen Hauses geschickt. Im Kammerspielton, im Mobiliar des zeitlosen Wohnsalons von Matthias Schaller. Die Gewohntheit und Gewöhnlichkeit, die eingangs Helga Schoon als alte Haushälterin Berta und Monika Kroll als Tesmans Tante Jule anschlagen, bringt sie brüsk durcheinander. Da zeigt die großartige, kühle, schattierungsreich spielende Judith Bohle in der Titelrolle erstmals, wie sie ihrer Lust freien Lauf lassen kann, Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren, zu beherrschen.
Das wird sie perfektionieren in den knapp drei Stunden, (...) die lang, aber nie langweilig sind, weil Laufenberg den sieben Personen auch in der Enge des Salons Luft zum Spielen lässt. (...)
Doch wer ausbricht, geht zu Grunde: Eilert Løvborg, genialischer wissenschaftlicher Konkurrent des kreuzbiederen Tesman, ist für Hedda interessant genug, in der Hand gehalten und ins Unglück geschickt zu werden. Sie selbst hat ihn, mit dem sie einst ein Verhältnis hatte, zum neuerlichen Alkoholexzess getrieben, der ihn endgültig unmöglich macht. Tom Gerber spielt ihn klassisch als Borderline-Kandidaten, während Kruna Savic als seine feinnervige Partnerin Thea Elvstedt reizt. Subtil und nervös geben sich diese viel interessanteren Figuren, darin Hedda, die sich am Ende textgetreu erschießt, viel ähnlicher als ihr braver Gatte. Der freilich bleibt, wird Karriere machen. Wie pessimistisch. Großer Beifall.