01.10.2012

OPER KÖLN OPERNHAUS DES JAHRES 2012

OPERNWELT JAHRESHEFT 2012

Die Bilanz der Spielzeit im Urteil von fünfzig Kritikern
Das gab es noch nie bei der Kritiker-Umfrage dieser Zeitschrift: Das Opernhaus des Jahres ist zugleich auch Ärgernis des Jahres. Wie das? Bei näherer Betrachtung eigentlich ein völlig klares Votum. Doch der Reihe nach. Es ist noch gar nicht so lange her, da dümpelte die einst renommierte Kölner Oper wie ein rostiger Tanker vor sich hin. Der kommunale Eigentümer schien das Interesse verloren zu haben; ein Kapitän, der den Pott wieder hätte flott machen können, war nicht in Sicht. Wehmütig trauerte man großen Zeiten nach, als Köln mit der Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» Theatergeschichte schrieb, als Jean-Pierre Ponnelle hier mit musikalisch «durchkomponierten» Mozart-Inszenierungen Aufsehen erregte oder ein Ensemblesänger namens Matti Salminen das Fundament seiner Weltkarriere legte. Dann kam ein Intendant aus der ostdeutschen Theaterprovinz – und schaffte die Wende.

Fünf Jahre Erfahrung im Krisenmanagement brachte Uwe Eric Laufenberg mit, als er 2009 in Köln antrat. Schon bald nach seiner Berufung zeigte sich, dass er der richtige Mann zur richtigen Zeit war. In Potsdam hatte er am Hans Otto Theater vorgeführt, wie sich selbst unter schwierigsten Bedingungen Programme organisieren lassen, die Qualität bieten und beim Publikum ankommen. Weil der Theaterneubau noch nicht fertig war, bespielte er die ganze Stadt – mit vielen Ortskräften, prominenten Gästen (wie Katharina Thalbach) und Streicheleinheiten für die lokalpatriotisch gestimmte Seele (Fontane, Preußen und Palais). Eine Mischung, die, unter anderen Vorzeichen, auch in Köln erfolgreich funktionierte.

Als das marode Stammhaus am Offenbachplatz nur noch eingeschränkt zur Verfügung stand (inzwischen wurde es für die Sanierung komplett geschlossen), widmete Laufenberg öffentliche Gebäude zur Bühne um: Monteverdis «Poppea» in der ehemaligen Hauptverwaltung des Gerling-Versicherungskonzerns oder Mozarts «Titus» im Treppenhaus einer wilhelminischen Gerichtstrutzburg stießen auf begeisterte Resonanz. Die Uraufführung des «Sonntag» aus Stockhausens «Licht»-Zyklus auf dem Messegelände bescherte Köln weltweite Aufmerksamkeit. Auch bei der Auswahl der Solisten, Gastdirigenten und Produktionsteams hatte Laufenberg einen guten Riecher: Er konnte nicht nur alte Bekannte wie Kiri Te Kanawa, René Kollo oder Matti Salminen überreden, nach jahrelanger Abstinenz wieder in Köln aufzutreten, und Ausnahmekünstler wie den Bariton Johannes Martin Kränzle («Sänger des Jahres» 2011) binden; in Absprache mit GMD Markus Stenz sorgte er dafür, dass erfahrene Dirigenten wie Will Humburg oder der Alte-Musik-Spezialist Konrad Junghänel regelmäßig die Aufbauarbeit des Musikchefs ergänzten. Nach Laufenbergs erster Saison (2009/10) war klar: Der Laden brummte wieder, das Publikum kam wieder. Die bleierne Zeit schien vorüber.

Drei Jahre später ist sie wieder da. Der für den Aufschwung verantwortliche Intendant ist entlassen, die Belegschaft verunsichert, die Atmosphäre vergiftet, die Zukunft ungewisser denn je. Vorderhand führte Zoff ums Geld zum irreparablen Zerwürfnis. Ein Streit um zwei Millionen Euro. Laufenberg erklärte, ihm seien 34 Millionen zugesagt worden, um Kölns Oper auf dem gewünschten internationalen Niveau zu halten, der (eher opernferne) rot-grüne Stadtrat wollte aber nur 32 Millionen bewilligen und forderte außerdem sechs Millionen Euro aus Etatüberziehungen zurück. Schwammig formulierte Verträge, unklare Absprachen, Wirtschaftspläne ohne Rechtskraft und teils überschäumende, teils verbissen-spröde Temperamente taten ein Übriges. Der Konflikt eskalierte.

Die kulturpolitischen Verhältnisse waren ein perfekter Boden dafür. Kungeleien statt Konzepte bestimmten die Debatte. Köln gesellte sich zu den durch kopflose Spar- und Fusionsvorschläge gleichfalls unangenehm aufgefallenen rheinischen Theaterstädten Bonn, Düsseldorf und Duisburg .
So hatte man jahrelang versäumt, die (Leitungs-)Struktur und Haushaltsführung der Kölner Bühnen praktischen Erfordernissen anzupassen. Dass es etwa zwischen der Schauspielintendantin Karin Beier und dem Opernintendanten Laufenberg immer wieder knirschte, hatte unter anderem mit der intransparenten Zuteilung städtischer Zuwendungen zu tun. Während der ehemalige Geschäftsführer (und jetzige Chef der Berliner Opernstiftung) Peter F. Raddatz der Schauspielsparte Extra-Millionen zuschob, gab es für die Oper keine entsprechende Aufstockung. Der Dank: Wenn Beier 2013 zum Deutschen Schauspielhaus nach Hamburg wechselt, wird Raddatz ihr Geschäftsführer. Seit 2009 ist Patrick Wasserbauer als geschäftsführender Direktor an den Kölner Bühnen beschäftigt – und umstritten. Inzwischen wird er als Kandidat für die Bayreuther Festspiele gehandelt (und die Stadt Köln hat schnell verlauten lassen, dass sie diesem Schritt nichts in den Weg stellen würde). Belastbare Zahlen und eine trennscharfe, zeitnahe Rechnungslegung konnte er offenbar nicht vorlegen. Das dürfte – nicht nur, aber auch – damit zu tun haben, dass die Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsführer, Intendanten und Betriebsdirektoren nicht eindeutig geregelt ist. Der für die Aufsicht zuständige Kulturdezernent Georg Quander schaute zu, bis es zu spät war.

Stephan Mösch, Albrecht Thiemann

Opernhaus und Ärgernis 2012
Macht des Schicksals?
Er hatte noch viel vor. Die «Nummer eins» sollte die Kölner Oper werden. Uwe Eric Laufenberg war auf einem guten Weg. Innerhalb von drei Jahren hat er das Krisenhaus wieder nach oben gebracht. Doch dann war plötzlich Schluss. Finale einer Erfolgsstory, die im Dauerstreit um Geld und Kompetenzen versank und mit dem Rausschmiss des Intendanten endete. Wie konnte es so weit kommen?
Am 3. März 2009 stürzte das Historische Archiv der Stadt Köln ein. Eine vermeidbare Katastrophe, die zwei Menschen das Leben, den Oberbürgermeister (indirekt) das Amt und die Stadt unersetzliche Zeugnisse ihres kulturellen Gedächtnisses kostete. Die Ursache des Desasters war schnell ermittelt: Pfusch am umstrittenen U-Bahn-Bau - einem Prestigeprojekt, das gegen viele Bedenken und trotz explodierender Kosten vorangetrieben wird. Als die Dokumente aus zweitausend Jahren in die Tiefe gerauscht und unter Schutt und Schlamm begraben waren, herrschte allgemeine Ratlosigkeit.

Wieder einmal musste das Schicksal als Sündenbock herhalten. Dabei hatte es schon vor dem Einsturz konkrete Hinweise auf technischen Schlendrian im U-Bahn-Tunnel gegeben. Als sich ein kompletter Kirchturm neigte, nahmen die Kölner das humoristisch, bemühten bald Vergleiche mit Pisa und freuten sich schon über die neue Touristenattraktion. Man redete sich die Lage lieber schön, statt der Sache, im Wortsinn, auf den Grund zu gehen. Was in dem unterhalb der Kirche verlaufenden U-Bahn-Schacht womöglich falsch gelaufen war, wollte man so genau nicht wissen, man prüfte hier und flickte dort. Bis zum großen Knall, nicht weit vom kölschen Pisa-Turm. Die Bilder von dem Archiv-Krater, in dem drei Gebäude verschwanden, gingen um die Welt. Die Aufarbeitung des Unglücks verläuft schleppend.

Auch was die Kölner Bühnen betrifft, spielt man in Deutschlands viertgrößter Stadt gern Metropole, bleibt aber, wenn es ans Eingemachte geht, am liebsten unter sich. Die große, weite Welt ist als Sehnsuchtsort willkommen, im Alltag dominiert jedoch meist eine Form von provinziellem Kleingeist - und das Prinzip «Klüngel», die Kölner Variante des Amigo-Systems. Fast schon vergessen ist die Affäre um den ehemaligen Generalmusikdirektor James Conlon, dem die Stadt 1989 einen Dienstvertrag gewährte, der es dem GMD freistellte, selbst über den Umfang seines Engagements für die Oper zu entscheiden. Das Ergebnis: Conlon konzentrierte sich immer stärker aufs Konzertieren mit dem Gürzenich-Orchester, im Haus am Offenbachplatz ließ er sich zum Ende seiner dreizehnjährigen Amtszeit kaum mehr blicken. Was den damaligen Generalintendanten Günter Krämer derart in Rage versetzte, dass er 2002 die Brocken hinschmiss. Gescheitert an jener «Kölner Mentalität des Konsenses», die - vornehmlich in den Hinterzimmern der Kommunalpolitik - die tollsten Blüten treibt. Den grotesken GMD-Vertrag für Conlon etwa hatte der ehemalige Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier eingefädelt. Für Ruschmeier verkörperte der aus New York stammende Amerikaner genau jene locker-weltläufige Lebensart, die in Köln Eindruck macht. Ein Hauch big apple am Rhein - das war das Wichtigste, aufs Kleingedruckte kam es da nicht so an. Inzwischen ermittelt der Staatsanwalt gegen den Ex-Stadtdirektor. Nicht wegen des Conlon-Vertrags, sondern wegen dubioser Geschäfte, die Ruschmeier nach seinem Ausscheiden aus der Stadtverwaltung als (fürstlich bezahlter) Geschäftsführer des Troisdorfer Fonds-Unternehmers Josef Esch organisierte. Es geht um einen über Esch-Fonds finanzierten Neubau der Kölner Messe, um überteuerte Mieten für die Stadtverwaltung und eine gigantische Verschwendung von Steuergeldern: Rund 100 Millionen Euro soll die Stadt bei den Deals verloren haben, weitere 277 Millionen die Kölner Sparkasse (für deren Verluste ebenfalls die Stadt haftet). Zum Vergleich: Im jüngsten Streit um die Opernfinanzierung, der in der fristlosen Kündigung des Intendanten Uwe Eric Laufenberg gipfelte, ging es um zwei Millionen Euro mehr oder weniger Zuschuss.

Undurchsichtige Verhältnisse, unklare Absprachen, unberechenbare Allianzen - sie scheinen im ungeschriebenen Kölner Verhaltenscodex einen sicheren Platz und auch bei der Entthronisierung Laufenbergs, die von der Lokalpresse nicht nur emsig begleitet, sondern teils befeuert wurde, eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Ob eine solche Gemengelage nur die Mentalität der Domstadt abbildet oder sich Ähnliches an jedem Ort in der deutschen Theaterlandschaft hätte ereignen können, bleibe dahingestellt. Den Ausgangspunkt für das kurz vor der Sommerpause fortissimo beendete Tamtam um das Musiktheater muss man jedenfalls in den teils vagen, teils widersprüchlichen Vereinbarungen suchen, die man mit den vorletzten «Rettern» des Schauspiels und der Oper getroffen hatte.

-- II ----

Die beiden mit der Mission betrauten Persönlichkeiten sollten die Erwartungen nicht enttäuschen. Karin Beier, seit 2007 Chefin des Schauspielhauses, stammt ebenso aus Köln wie der zum Spielzeitauftakt 2009/10 berufene Opernchef Uwe Eric Laufenberg. Beste Voraussetzungen, sollte man meinen, um im Dschungel der ortsspezifischen Klüngelwirtschaft den Überblick zu behalten und die Bühnen wieder auf Top-Niveau zu bringen. Zumal der Stadtrat 2009 einen Kulturentwicklungsplan verabschiedete, der allein für die Oper einen Mehrbedarf von sieben Millionen Euro feststellte. Das ließ hoffen.

Als Uwe Eric Laufenberg sein Amt antrat, war die Kölner Oper künstlerisch nahezu bedeutungslos. Und als er verkündete, alten Glanz aus Michael Hampes Zeiten wieder aufleben lassen zu wollen, klang das beinahe vermessen. Doch gelang dem Haus ein erstaunlicher, in der Kürze der Zeit geradezu sensationeller Wandel. Ein mal mutig, mal konservativ, aber immer umsichtig zusammengestelltes Repertoire, eine geschickt gemischte Auswahl von Gastregisseuren sowie eine kluge Besetzungspolitik mit bekannten (teils in Köln lange verschmähten) und wenig bekannten Stimmen - das war Laufenbergs Erfolgsrezept. Die Auslastung stieg auf rund 90 Prozent. Doch bald liefen die Dinge erneut aus dem Ruder.

Unter anderem, weil ein wesentlicher Passus in Laufenbergs Vertrag so schwammig formuliert ist, dass man ihn auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren kann. Da wurde dem Opernintendanten ein künstlerisches Budget in Höhe von 10,5 Millionen Euro garantiert, aber nicht definiert, was dieses Budget konkret abdecken soll. Laufenberg pochte auf eine freie Verwendung der Mittel, um aufwendige Produktionen, zumal an logistisch komplizierten Ausweichspielstätten, realisieren zu können; die Stadt hingegen erklärte, dass in die Summe die (Personal-)Kosten für Chor und Orchester eingerechnet seien. Der Streit, der im Frühsommer 2012 zum Bruch führte, war also vorprogrammiert. Ebenso wie die Auseinandersetzung um jene 34 Millionen Euro, die Laufenberg als städtischen Zuschuss forderte, zwei Millionen mehr als die Stadt überweisen wollte. Rechtskräftig verabschiedete Wirtschaftspläne gab es bis vor Kurzem nicht - und damit keinen für alle Akteure verbindlichen Handlungsrahmen.

Auch eine andere Komplikation passt ins Bild: Kurz vor dem ersten Spatenstich kippte der Stadtrat den längst beschlossenen und zunächst weithin gefeierten Neubau für das Schauspiel - nach einer öffentlichen Kampagne, die den Erhalt und die Sanierung der alten Bühne in dem Gebäudeensemble Wilhelm Riphahns forderte. An der Spitze der Bewegung: Karin Beier. Ein später Gesinnungswandel, durch den sich der Beginn der Baumaßnahmen erheblich verzögerte. Die für viel Geld eingekauften Pläne zugunsten eines architektonischen Neuanfangs waren plötzlich Makulatur, man musste wieder bei null anfangen. Auch die überfällige Sanierung des benachbarten Opernhauses wurde aufgeschoben - erst in diesem Jahr übernahmen die Bautrupps das Kommando. Provisorien, Rollenwechsel, labile Stimmungen. Dennoch: Wer mit dem Rücken zur Wand steht, will es manchmal erst recht wissen - und läuft zu Hochform auf. Karin Beiers Kölner Schauspieltruppe wurde zweimal zum «Theater des Jahres» gewählt, Uwe Eric Laufenberg hat während der vergangenen drei Jahre mit der Oper eindrucksvoll gezeigt, wie man aus einer (Dauer-)Krise produktive Energien gewinnt .

-- III ----

Doch die künstlerischen Erfolge konnten nicht verhindern, dass die Protagonisten des Kölner Bühnenaufschwungs in der Hitze der täglichen Gefechte um Ressourcen und Einfluss verbrannten. Karin Beier wandert 2013 zum Deutschen Schauspielhaus nach Hamburg ab. Uwe Eric Laufenberg musste gehen, weil er am Ende mit allen, die in Köln etwas zu sagen haben, über Kreuz lag. Während Beier - in der Sache durchaus hart - mit diplomatischem Charme und kommunikativem Geschick die entscheidenden Klinken putzte (der Verleger Alfred Neven DuMont etwa, die graue Eminenz unter Kölns Strippenziehern, ist ein Duz-Freund), suchte Laufenberg sein Glück in polternden Einlassungen über die Unfähigkeit der Politiker - und brachte am Ende mit diesem Konfrontationskurs selbst den ihm lange wohlgesonnenen SPD-Oberbürgermeister Jürgen Roters gegen sich auf.
(...)

-- IV ----

Zu den Hauptfiguren der Kölner Tragikomödie gehört nicht zuletzt der parteilose Kulturdezernent Georg Quander. Der gebürtige Düsseldorfer mit «preußischer Sozialisation» (Quander) war 2005 an den Rhein berufen worden, nachdem die Stadt kurz zuvor unter dem glücklosen CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma die bereits annoncierte neue Opernintendantin (und Krämer-Nachfolgerin) Barbara Mundel vergrault und sich mit einer unrühmlichen Bewerbung um den Titel «Europäische Kulturhauptstadt 2010» blamiert hatte. Zwölf Jahre journalistische Erfahrung als Musikredakteur des SFB und RIAS, zehn Jahre geräuschlose Intendanz an der (Ost-)Berliner Lindenoper - mit Quander schien der richtige Mann gefunden, um das ramponierte Image der seinerzeit obendrein durch Parteispendenaffären und die Messe-Mauscheleien (siehe oben) gebeutelten Stadt aufzuhellen. Doch schon bald nach der Ankunft musste der frisch Berufene erkennen, dass es in Köln zwar viel frohsinnigen Lokalpatriotismus, aber kaum weitsichtige Konzepte gab. Strategisches Denken sei nicht unbedingt eine Stärke der Kölner, meint Quander. Man lebe hier von der Hand in den Mund. Ein Beispiel: Als der Bundestag 1991 beschloss, Berlin zum Sitz von Regierung und Parlament zu machen, lief rund um den Dom alles weiter, als sei nichts gewesen. Während München oder Stuttgart beachtliche Summen in die Kultur investierten, um im Wettbewerb mit der Hauptstadt attraktiv zu bleiben, wurde die Entwicklung in Köln schlichtweg verschlafen. Als man allmählich aufwachte, kam die Finanzkrise.

Gut eine Million Menschen aus 170 Nationen leben heute in der Stadt. Rund 3,5 Milliarden Euro umfasst der Jahreshaushalt, den größten Batzen fressen die Sozialausgaben. Das strukturelle Defizit liegt bei 250 Millionen Euro pro Jahr. Das heißt: permanentes Krisenmanagement. Für die Kultur sind derzeit 150 Millionen Euro reserviert, irgendwann einmal sollen es 200 Millionen sein, hofft Quander. Als er vor sieben Jahren in Köln anfing, hatte er 100 Millionen zu verteilen. Zur Zeit gehen 32 Millionen Euro an die Oper und 18,7 Millionen an das Schauspiel. Hinzu kommen Extra-Zuwendungen während des Interimsbetriebs sowie weitere Investitionen: Für die Sanierung von Schauspiel- und Opernhaus sind 253 Millionen Euro veranschlagt. Eine gute Bilanz? Quander ist sich da wohl selbst nicht so sicher. Im Mai 2013 läuft sein Vertrag aus, und es spricht gegenwärtig nicht viel dafür, dass er verlängert wird.

Denn dass der in der Sache kompetente, im Umgang allerdings oft spröde wirkende Dezernent für seinen undankbaren Job nicht mit Leib und Seele brennt, ist ein offenes Geheimnis. Als sich nach dem Abgang Christoph Dammanns 2008 das Bewerber-Karussell um die Kölner Opernintendanz zu drehen begann, war auch Quander aufgesprungen. Wenig später wurde er ein paar Tage lang für die Leitung der Stuttgarter Oper gehandelt. Zudem muss sich Quander den Vorwurf gefallen lassen, er habe den Konflikt um die Finanzierung der Bühnen zu lange laufen lassen.

-- V ----

Wo auch immer man die Kapriolen dieses kölschen Ränke-Reigens genauer unter die Lupe nimmt, werden entweder Gerüchte gestreut, oder es wird gemauert, wenn es um Verlässliches, etwa um belastbare Zahlen und Zusagen, geht.
(...)

Das ist die nüchterne Bilanz einer in ihrem kreativen Schwung mitreißenden Entwicklung. Eine typisch kölsche Entwicklung? Die Bizarrerie mancher Details mag einzigartig erscheinen. Denkbar sind solche Szenarien freilich auch in anderen Städten. Das Beispiel Köln kann man zugleich als Ermutigung und Warnung interpretieren. Es zeigt zum einen, dass selbst unter verschärften Bedingungen mitreißendes Musiktheater gelingen kann. Es weist aber auch auf die destruktiven Fliehkräfte, die das permanente Geschacher um ohnehin schrumpfende Kunst- und Theateretats entfesseln kann. Während in der Kulturfinanzierung inzwischen jeder Cent zweimal umgedreht wird, fließen, wenn es um die Errichtung von Sportarenen oder Messehallen geht, oft bedenkenlos zwei- bis dreistellige Steuermillionen. Reicht das Geld wegen lückenhafter Kalkulationen nicht aus, wird großzügig nachgeschossen. Stehen indes Zuschüsse für Oper, Theater oder Orchester zur Debatte, setzt in der Regel ein zähes Ringen ein, an dessen Ende es meist nur Verlierer gibt.

Was die Zukunft der Kölner Oper betrifft, so bleibt abzuwarten, welchen Spielraum sie in den nächsten Jahren haben wird. (...) So steht zu befürchten, dass die imposante Hausse der kurzen Ära Laufenberg ein Intermezzo bleibt. Ein Zurücksinken in die Zweitklassigkeit aber wäre fatal - zumal vor dem Hintergrund der enormen Anstrengungen, die Köln gerade für die bauliche Wiederherstellung und Modernisierung seines Theaters und seiner Oper unternimmt. Doch auch dieser Gefahr wird man wohl mit einer freundlich-jovialen Volksweisheit aus dem Kölschen Grundgesetz begegnen: Et hätt noch emmer joot jejange.

/Musikopernwelt/Jahrbuch-2012-Inhaltsverzeichnis.html/Musikopernwelt/Jahrbuch-2012-Inhaltsverzeichnis.html
Christoph Vratz, Albrecht Thiemann / opernwelt / Jahrbuch 2012

Drei Jahre Aufschwung
Künstlerisch waren Uwe Eric Laufenberg und Markus Stenz ein Glücksfall für die Kölner Oper. Versuch einer Bilanz
Will man die künstlerische Entwicklung und Leistung der Kölner Oper während der letzten drei Spielzeiten einschätzen, sollte man sich zunächst noch einmal die Ausgangslage, also ihren Zustand zu Beginn der Saison 2009/10 vergegenwärtigen: ein nach jahrzehntelanger Vernachlässigung baufälliges Haus, ein Programm ohne Profil, ein von grauem Mittelmaß vergraultes Publikum. Dem neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg blieb in dem 1957 eingeweihten Ripahn-Bau am Offenbachplatz lediglich eine Spielzeit, um das Ruder herumzureißen, dann sollte die überfällige Generalsanierung beginnen. Das bedeutete: (mindestens) drei Jahre Spielbetrieb in Ausweichquartieren und Provisorien bei ständiger Gefahr, unter solchen Bedingungen große Teile des (Stamm-)Publikums zu verlieren. Eine mehr als heikle Herausforderung.

Doch schon mit seiner ersten Inszenierung, Wagners «Die Meistersinger von Nürnberg», setzte Laufenberg ein Zeichen. Er ließ - vom Spätmittelalter über den Vormärz, die Nazi-Herrschaft und die Fünfzigerjahre bis heute - den «langen Weg Deutschlands zur Demokratie» Revue passieren und sparte dabei nicht mit Anspielungen auf die Kölner Lokalgeschichte. Die Botschaft war klar: Oper fällt nur dann ins Gewicht, wenn sie uns heute betrifft. Und: Hier kündigte einer an, dass er ein Programm «für die Stadt» machen wollte. So holte Laufenberg die Festwiese in Gestalt des zu einer «Public Viewing»-Arena umfunktionierten Opernvorplatzes auf die Bühne - unter dem eingeblendeten Motto: «Oper für alle».

Das sollte kein leeres Versprechen bleiben: Erste Ergebnisse der systematischen Aufbauarbeit wurden bald sichtbar. Laufenberg, selbst ein gebürtiger Kölner, wusste genau, was er tun musste, um das Publikum (wieder) zu gewinnen. So kehrten lange vermisste Sänger nach Köln zurück: Matti Salminen als König Philipp (in «Don Carlos»), Helen Donath als Mrs. Grose (in «The Turn of the Screw»). Kiri Te Kanawa gab als Marschallin (im «Rosenkavalier») ihren Bühnenabschied, der über 70-jährige René Kollo trat, stimmlich fit und darstellerisch präsent, in Peter Eötvös' «Love and other Demons» auf. Die Kölner Oper war damit zwar (noch) nicht «die Nummer eins», die Laufenberg und Generalmusikdirektor Markus Stenz anstrebten, aber der Kurs - «Anschluss an die Glanzzeiten» des Hauses - stimmte.

Wichtiger als die Wiederbegegnung mit alten Bekannten aber war der Aufbau eines neuen Ensembles - nicht im Sinne fester Engagements, sondern langfristiger Bindungen. So gelang es Laufenberg, namhafte Solisten für mehrere Produktionen nach Köln zu locken, die das Gesicht des Hauses maßgeblich prägten. Wie er selbst prominente Sängerinnen und Sänger dazu brachte, trotz mäßiger Gagen regelmäßig in Köln zu arbeiten, hat Johannes Martin Kränzle in «Opernwelt» (siehe OW 1/2011) verraten: «Vor der Saison 2009/10 rief mich Uwe Eric Laufenberg an und sagte, er habe sieben Hauptrollen zu vergeben. Ich könne eine machen, oder alle sieben... Das war wie im Märchen.» Kränzle wurde mit großartigen Rollenporträts - als Beckmesser und Herzog Blaubart, als Musiklehrer in «Ariadne auf Naxos» und Fürst Andrej in Prokofjews «Krieg und Frieden» - dann tatsächlich eine Stütze des Hauses.

Den Solisten, die für jeweils mehrere Engagements nach Köln kamen, boten sich beträchtliche Entwicklungsmöglichkeiten. Viele von ihnen avancierten bald zu Publikumslieblingen: Adina Aaron, Regina Richter, Katrin Wundsam, Anna Palimina, Claudia Rohrbach, Miljenko Turk, Wolf-Matthias Friedrich, Matthias Klink (eindringlich als Pierre Besuchow in «Krieg und Frieden», voll belcantistischen Wohllauts als Jim Mahoney in «Mahagonny») und Olesya Golovneva, die das Publikum nicht nur als Violetta, sondern auch als Natascha in «Krieg und Frieden» begeisterte. Nicht zu vergessen die vielen «Ensemble»-Kräfte, die in kleineren und mittleren Partien immer wieder treffsichere Charakterstudien ablieferten, sich mitunter auch in Hauptrollen bewährten: Pars pro toto seien John Heuzenroeder als Peter Quint in «The Turn of the Screw» und Pedrillo «Die Entführung aus dem Serail») und Dalia Schaechter als Klytämnestra in «Elektra», Begbick in «Mahagonny» und Marija Achrossimowa in «Krieg und Frieden» genannt. Außerdem bereicherten sorgfältig ausgewählte Gäste das vokale Portfolio: etwa Sandrine Piau und Franco Fagioli, die als Poppea und Nero den wunderbaren Auftakt eines (umständehalber nun wohl Torso bleibenden) Monteverdi-Zyklus befeuerten, oder Simone Kermes als famose Donna Anna in «Don Giovanni» und als Armida in Händels «Rinaldo».

In diesem Kontext konnte auch GMD Markus Stenz die Früchte seines beharrlichen Einsatzes mit dem und für das Gürzenich Orchester ernten, das er 2003 übernommen hatte. Einige der von Stenz dirigierten Produktionen markierten Höhepunkte des Kölner Spielplans - «Wozzeck» gehörte dazu, auch Eötvös' «Love and other Demons» und «Ariadne auf Naxos». Eine glückliche Hand bewies das Leitungsteam nicht zuletzt in der Wahl der Gastdirigenten: Konrad Junghänel, der bei seinen Engagements für Monteverdis «Poppea» und «Ulisse», Glucks «Orpheus» sowie Mozarts «Entführung» und «Titus» nicht nur seine intime Kenntnis historischer Aufführungspraktiken in die Waagschale warf, sondern auch untrüglichen Theaterinstinkt zeigte; Markus Poschner, der eine sensible, psychologisch fein ausgehorchte «Traviata» dirigierte; Michael Sanderling, der alle Farben von Prokofjews selten gespielter «Krieg und Frieden»-Partitur aufzufächern wusste; Fabrice Bollon, dessen reich schattierte, scharf akzentuierte Lesart des Verdi-Requiems (mit einer fantastischen Chorleistung!) die szenische Einrichtung Clemens Bechtels musikalisch beglaubigte.

Auch die schnörkellos direkten, mitunter hemdsärmeligen Inszenierungen des Intendanten kamen an, über bestimmte Szenen diskutierte man in der Stadt tagelang. Etwa über einen Don Giovanni, den Laufenberg als Exponent einer egoistisch-genusssüchtigen Oberschicht vorführte, der es bei Masetto und Zerlina mit dem Sittenkodex einer migrantischen Parallelgesellschaft in, sagen wir, Köln-Chorweiler zu tun bekam. Laufenbergs Stärke bestand darin, dass er solche Handlungsentwürfe - in der Regel - durch eine ungezwungene, präzise und musikalisch sensible Personenregie zu untermauern verstand. Gleichzeitig ließ er sehr unterschiedliche Regie-Handschriften neben sich gelten. Und nahm dabei auch Risiken in Kauf: So, als er Johannes Erath, der mit einer bilderarmen, geradezu kargen und abstrakten Deutung von Glucks «Orpheus» beeindruckt hatte, anschließend Verdis «Aida» anvertraute - und die unausgegorene, klischeebeladene Inszenierung zu einem der wenigen Flops seiner Amtszeit geriet. Bernd Mottl hingegen punktete mit drei Produktionen, die unterschiedlicher kaum gedacht werden könnten. Auch Ingo Kerkhof ist hier zu nennen, für famos reduzierte, ganz auf die Sänger-Darsteller und die Beziehungen zwischen den Figuren konzentrierte szenische Arrangements («Wozzeck», «Alcina»).

Zur Gewinnbilanz gehört nicht zuletzt die Kinderoper, die - früher als buntes Extra im Foyer betrieben - mehr Gewicht erhielt und unter ihrer Leiterin Elena Tzavara überregional von sich reden machte (wegen der Sanierung des Stammhauses musste sie ins «Alte Pfandhaus» in die Südstadt umziehen). Ein Markenzeichen der Kinderopernarbeit waren Auftragswerke, um das Repertoire zu bereichern und ans Heute anzuschließen: Ingfried Hoffmanns Jazz-Fassung der Geschichte «Vom Fischer und seiner Frau» etwa oder Ludger Vollmers Jugendoper «Border» (die demnächst in Karlsruhe nachgespielt wird).

Die Kölner merkten schnell, dass «ihre» Oper wieder etwas hermachte - und kamen in wachsender Zahl. Um die extravaganten Umbauspielzeiten künstlerisch und materiell schadlos überleben zu können, musste man das Publikum umso energischer emotional begeistern. Laufenberg hat das geschafft, der Kartenverkauf boomte wie seit Jahren nicht mehr. Dass alles anders kommen würde, dass die Sanierung verspätet (2012 statt 2010) beginnen und das Opernhaus länger bespielbar sein würde, wenn auch stark eingeschränkt und nur en suite; dass die Disposition mitunter wahre Flexibilitätswunder vollbringen musste, weil man sich auf keinen (Zeit-)Plan verlassen konnte - all das war 2009 nicht abzusehen. So hatte Laufenbergs erste Saison, im Rückblick betrachtet, den Charakter eines Vorspiels: Die eigentlichen Herausforderungen sollten erst noch kommen - und mit ihnen paradoxerweise jene Produktionen, mit denen Köln wieder zur Spitzengruppe der deutschen Opernliga aufrückte.

Das erste Highlight war die Eröffnungsvorstellung der Saison 2010/11, Monteverdis «Krönung der Poppea» in der ehemaligen Zentrale des Versicherungskonzerns Gerling. Dieser Ort war weit mehr als eine «Außenspielstätte». Ein martialisches Gebäude, in dem sich der Führungsanspruch eines global operierenden Unternehmens kundtut; eine Inszenierung, die die antike Geschichte ins Ambiente des Spätkapitalismus verlegt; die Personen, verstrickt in ein korruptes politisches System, unter dem sie leiden, das sie aber, um ihres vermeintlichen Vorteils willen, dennoch bedienen und unterhalten. Ein Paradigma, das die mythische Zeit (des Odysseus), die Entstehungszeit des Stücks und die Zeit der Aufführung verknüpfte. Der Ort, Dieter Richters Bühne, Renate Schmitzers Kostüme, Dietrich Hilsdorfs minutiös durchdachte Personenregie, eine exquisite Besetzung und die nahtlose Einheit von Gesang, Aktion und Instrumentalspiel garantierten drei Stunden Hochspannung.

Dietrich Hilsdorf hat am Rhein viel inszeniert, nur in Köln war er nie zum Zuge gekommen. Erst Laufenberg holte ihn - als einen der prägenden Regisseure seiner Intendanz.

Mit der Uraufführung von Karlheinz Stockhausens «Sonntag», dem Abschluss seines «Licht»-Opernzyklus, schrieb Köln Operngeschichte - vielleicht zum ersten Mal seit der Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten» 1965. Das komplexe, aufwendige Werk kam in einer gemeinsamen Anstrengung der Oper, des Ensembles musikFabrik und der MusikTriennale in zwei Sälen heraus, die eigens im Staatenhaus der Kölner Messe vorbereitet worden waren. Das Inszenierungsteam um Carlus Padrissa (La Fura dels Baus) schaffte das Kunststück, die Szene heutigen Sehgewohnheiten anzunähern, ohne die Vorgaben (und Vorschriften) der Partitur zu missachten. Die überwältigende Fülle optischer und szenischer Effekte überlagerte zwar gelegentlich die Musik - doch kulminierte das Ganze in einer alle traditionellen Seh- und Hörmuster transzendierenden Erfahrung, die ganz im Sinne des Komponisten gewesen sein dürfte.

Auch in seiner letzten Spielzeit konnte Laufenberg das Niveau halten. Sie begann mit der glanzvollen Rehabilitierung von Prokofjews Tolstoi-Oper «Krieg und Frieden» durch den Regisseur Nicolas Brieger und den Dirigenten Michael Sanderling, mit einem bis in die (zahlreichen) Nebenrollen starken und überzeugenden Ensemble. Im November 2011 ein weiterer Versuch, dem Musiktheater neue Dimensionen des Erlebens zu erschließen: Regisseur Clemens Bechtel hatte Verdis von tiefer Glaubensskepsis durchdrungene Requiem-Komposition mit den authentischen Selbstaussagen von Menschen verknüpft, die extreme Notsituationen erlebt hatten oder dem Tode nahe waren. Unter ihnen der in Köln lebende Schriftsteller Dogan Arkhanli, dessen Fall großes Aufsehen erregt hatte: Er war zur Beerdigung seines Vaters in die Türkei gereist und dort unter fadenscheinigen Vorwänden als Oppositioneller inhaftiert worden. Verzweiflung und Aufbegehren, die sich in Verdis Musik artikulieren, fanden einen neuen Resonanzraum. Ein Projekt, bei dem Musik und dokumentarisches Theater verschmolzen - ein bewegender Abend.

Auf andere Weise gelungen war Uwe Eric Laufenbergs Version von Mozarts «Titus». Er hatte das Stück im Treppenhaus des Oberlandesgerichts inszeniert - ein neobarocker Prunkbau, in dem sich die juristische Bürokratie der Kaiserzeit mit absolutistischer Attitüde in Szene setzte. Die Geschichte von Menschen, die sich in den Stricken eines selbstgeschaffenen Macht- und Zwangssystems verfangen, erzählt sich in einem solchen Raum fast von selbst.

Das Erbe, das Laufenbergs Operndirektorin Birgit Meyer nun als seine Nachfolgerin antritt, steht unter keinem guten Stern. Ob die Kölner Oper unter ihrer Leitung die während der letzten drei Jahre erzielte Qualität halten kann, ist fraglich. Ingo Dorfmüller

01.10.2012

OPER KÖLN OPERNHAUS DES JAHRES 2012