WAS IHR WOLLT /ONKEL WANJA
Dramaturgie: Anne-Sylvie König und Hans Nadolny
Musik: Marc Eisenschink
Meriam Abbas, Rahel Ohm, Adina Vetter, Marc Eisenschink, Günter Junghans, Christian Klischat, Philipp Mauritz, Günter Rüger, Henrik Schubert, Yüksel Yolcu, Gisela Leipert
Hartmut Krug, Deutschlandfunk, Kultur heute
Shakespeares Traumlandschaft Ilyrien in "Was ihr wollt" und Tschechows verschlafenes Gut in "Onkel Wanja" sind die Spielorte zweier Stücke, die als Doppelprojekt an zwei Abenden mit den gleichen Schauspielern gegeben werden. Sie passen wunderbar in die nach Ideen von Friedrich Wilhelm dem IV von Persius und dem Schinkel-Schüler Stüler im Stil der italienischen Renaissance errichtete Orangerie. Bei "Was ihr wollt" wandert das Publikum mit den Schauspielern durch den hohen und weiten, etwas heruntergekommenen prächtigen Säulensaal mit seiner durchgehenden, bis zum Boden reichenden Fensterfront. Zu Beginn reißt die schwarz verschleierte Gräfin Olivia den Vorhang zur Halle herunter und wandert in die ferne Einsamkeit am Ende der Halle, während Herzog Orsino mitten im wartenden Publikum vergeblich ihr seine Liebe nachsendet: damit ist gleich ein wunderbares Bild für das Thema des Dramas gefunden. Shakespeares Stück ist zweierlei: ein poetisches Liebesverwirrstück und eine drastische Komödie, bei der dem eitlen Haushofmeister der Gräfin derb mitgespielt wird (Philipp Mauritz gibt ihn sehr schön als geschniegelt korrekten, energischen ehrgeizigen Bedienten). Ein vom Publikum umringtes flaches Wasserbecken wird zum Spielort, auf dessen schmalem Mittelsteg sich die Gelage und Konflikte abspielen. Daß dabei nicht nur die Verliebten im Überschwang ihrer Sehnsüchte gelegentlich durchs Wasser stapfen, sondern die Mannen um den trinkfesten Sir Toby in dieses hinein fallen, wirkt wie alles in dieser Inszenierung ganz leicht und selbstverständlich. Uwe Eric Laufenberg und Tobias Sosinka, die gemeinsam für beide Inszenierungen verantwortlich zeichnen, setzen mit ihrem vorzüglichen Ensemble nie auf überstarke Effekte. Das weitere Liebesverwirrspiel findet dann auf einer Galerie statt, vor deren Längsfront das Publikum sitzt: dabei wird das Hin und Her der Gefühle sehr schön auch in der Bewegung der Schauspieler im Raum deutlich. Und bei "Onkel Wanja", bei dem das Publikum auf einer Empore einem schäbigen Wohnzimmer gegenübersitzt, das vom Bühnenbildner Gisbert Jäkel vor dem grandiosen Hintergrund der tiefen Säulenhalle wie eine traurige Insel gesetzt wurde, wird sofort die Enge und Erstarrtheit der Situation deutlich. Mit der wunderbar rotzig sinnlichen Übersetzung von Thomas Brasch finden beide Stücke einen Ton, der falsche Poetisierungen vermeidet. Christian Klischat, in "Was ihr wollt" ein bewußt farblos hilfloser Junker Leichenwang, spielt den Onkel Wanja ganz heutig, als einen kräftig aufbegehrenden, lautstarken,aber hilflosen Räsonneur, während Günter Junghans, bei Shakespeare ein schmaler, verschmitzter Sir Toby, bei Tschechow den eitel egoistischen Professor als wunderbar grämlich-dümmliche Figur gibt. Beide Inszenierungen kommen ohne den Ehrgeiz daher, irgend originelle Neu-Interpretationen zu liefern. Sie sind leicht, aber nie leichtfertig, erzählen die Fabeln mit sinnlicher Phantasie und als brillantes Schauspielertheater. In Potsdam sieht man einmal mehr, wozu ein kleines deutsches Stadttheater fähig ist. Wie Meriam Abbas sich erst als Viola zwischen männlicher Rolle und weiblicher Liebe mit Charme und Energie schier zerreißt, um sich bei Tschechow als vergeblich den Doktor liebende Sonja mit resignierter Liebes-Resthoffnung in die Arbeit zu retten, das wird so facettenreich, so locker dargeboten, daß es eine schiere Zuschau-Freude erzeugt. Ob der über siebzigjährige Günter Rüger, der Shakespeares Narr mit trockenem Witz und dann den ehemaligen Gutsbesitzer bei Tschechow mit verhaltenem Trotz gibt, ob Rahel Ohm, die bei Tschechow ein in jeder Hinsicht schwergewichtiges Kammermädchen spielt, oder ob Henrik Schubert und Adina Vetter, die weder als Herzog und Gräfin bei Shakespeare noch als Landarzt und junge Ehefrau des Professors bei Tschechow zusammen kommen: sie alle zeigen uns mit sensibel-diszipliniertem Spiel Haltungen und Handlungen, die nicht nur von gestern sind. So kann, so soll wunderbares Sommertheater sein.
Bonner Generalanzeiger
Ein unheimlich starker Auftakt war die erste Saison des Hans Otto Theaters Potsdam unter dem neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg. Der in Oper und Schauspiel erfolgreiche Regisseur zeigte der Stadt, wo und wie man da überall Theater machen kann, und setzte mit einem sommerlichen Schauspiel-Doppel in der Orangerie von Sanssouci einen begeistert aufgenommen Schluss- und Höhepunkt mit Shakespeares Komödie "Was Ihr wollt" und Anton Tschechows Szenen aus dem russischen Landleben "Onkel Wanja".
Das gleiche Ensemble zeigt an beiden Abenden in Thomas Braschs sinnlich-zupackender Übersetzung ganz andere und doch sich berührende, uns anrührende Facetten des Lebens. Bei Shakespeare turbulent, getrieben und hintertrieben die Sehnsucht nach Liebe, die Qualen, die Intrigen, die den eitlen Haushofmeister Malvolio, dem Philipp Mauritz erschreckend Tiefe gibt, zum tragischen Gespött machen. Bei Tschechow das Leiden an schwer auszusprechender Liebe, an schwer zu findendem richtigen Leben. Vergeblichkeit, die das Leben zum Scherbenhaufen macht, die Liebe nicht gedeihen lässt, die Zerstörung der Natur hellsichtig auf die Seelenlandschaften überträgt. Laufenberg und Tobias Sosinka inszenieren das mit Vitalität und Sensibilität zugleich. Das Surren des Samowars, das Saufen der Lebensratlosen hält sich in Grenzen. Allgemeines Scheitern: in kraftvoller Wut bei Wanja (Christian Klischat), mit verschmitztem Charme beim Öko-Arzt Astrow (Henrik Schubert), klein und gemein beim großspurigen Professor (Günter Junghans) und kühl ins eigene Leben eingepasst bei dessen Frau Jelena (Adina Vetter), die sich von ihrer Olivia damit wenig entfernt.
Die alle anrührende, alle überragende, alle aber auch bindende Entdeckung ist Meriam Abbas als Viola / Cesario die junge Liebende, die für den Geliebten Orsino (Henrik Schubert) als Mann bei Olivia werben und sich versagen muss. Mit glühenden Augen, mit traurigem Zauber, ernst und keck schlägt sie ebenso in Bann wie als Wanjas Nichte Sonja, die vergeblich liebt und sich dem hoffnungslosen Joch des Lebens beugt.
Der Tagesspiegel
In der feudalen Wandelhalle lauschen die Figuren beider Stücke schier ungläubig dem Nachknall ihrer eigenen Wünsche. Suchen der inneren Heimatlosigkeit im Auge des anderen zu entkommen. Reden sich ins Gefühlsfeuer um sich selbst zu spüren. Tschechows Landlebensweise "Onkel Wanja" erblüht da in der Orangerie in allen Facetten menschlicher Kümmernisse und Kümmerlichkeiten - Komisch, ungekünzelt, wiedererkennbar. Die vor Energie und Präsenz berstende Meriam Abbas schafft einige wundervolle Momente des entgrenzungsbereiten Verlangens, bevor nach allerlei verschossenem Leidenschaftspulver die Figuren wieder ihr Dasein zu verwalten beginnen als sei nichts geschehen. Die Liebe geht hier allen leicht über die Lippen, bloß zu leben traut sich keiner. Und das wird an diesem Abend traumwandlerisch in Gisbert Jäkels sparsamen Bühnentableau gefasst. Auch bei Shakespeare spielen die Figuren mit ihren Gefühlen Versteck, wenngleich im karnevalsken Mummenschanz. Illyrien heißt diese Mitsommernachtssexkomödie das Ufer der gestrandeten Herzens-Hasardeure. Orsino (Henrik Schubert) begehrt Olivia (Adina Vetter), die ihn nicht erhöhrt. Was an Turbulenz gewinnt, als die junge Viola (Meriam Abbas) ankert und im Männergewand des erotische Dreiecksdelirium forciert. Dem ist zwar ein Happy End beschieden, doch ist die Liebe auch hier, wie der Shakespeare Verehrer Jan Kott einmal schrieb, "das Betreten einer Gefahrenzone". Es ist ein entsprechend knisterndes Vergnügen, wie Laufenberg und Sosinka auf der gemeinsamen Breite des Westflügels zwischen Bassin und Balustrade das zotige, alberne und emotionstrunken Treiben entfesseln, das der Musiker Marc Eisenschink poetisch auf der Gitarre untermalt. Und es ist eine Freude, die Schauspieler sich verwandeln zu sehen. Etwas die Wanja Kontrahenten Junghans und Klischat als Sir Rülps und Sir Leichenwang in Narretei verbrüdert zu erleben, überhaupt in den grotesken Spiegel der Tschechows Sehnsucht zu blicken. Man wünscht diesen illyrischen Liebensflüchtlingen gar keine Heimat. Nur der Augenblick, ach, der soll verweilen.
Märkische Allgemeine Zeitung
Die Regisseure Uwe Eric Laufenberg und Tobias Sosinka haben dem Tschechow-Stück im Team eine untypisch kämpferische Note gegeben. Keine Figur weidet sich in Verdruss, Selbstmitleid oder Selbsthass, obwohl es um nichts anderes geht. Die Dialoge werden relativ schnell und hart gesprochen, auch die wenigen Pausen atmen Nüchternheit. Mit beiden Aufführungen geht eine geradezu geniale Spielzeit zu Ende. Es war die erste unter der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg. Der gebürtige Kölner hat es geschafft, das Potsdamer Publikum auch geistig wieder an das Theater zu binden.
Zitty Nr.
Horaz schrieb, der attische Tragiker Thespis sei mit einem Theaterkarren herumgereist, sozusagen als Erfinder des Wandertheaters. Ein moderner Thespis ist Uwe Eric Laufenberg. Seit er die Leitung des Hans Otto Theaters übernommen hat, entdeckt er immer neue Orte für seinen Theaterkarren. Nach dem Palais Lichtenau, der Villa Kellermann und der Freundschaftsinsel ist er nun im Palmenhaus der Orangerie im Park Sanssouci angekommen. Hier, in der Stein gewordenen Italiensehnsucht Friedrich Wilhelm IV., liegt für Laufenberg nicht nur Illyrien - eine Landschaft, erfüllt von Musik und Liebe, ein Ort der Irrungen und Wirrungen - sondern auch das Landgut des Professors Serebrjakow. Die beiden Stück zu parallelisieren und an einem Ort von den selben Darstellern spielen zu lassen, verwirrt zunächst, entpuppt sich aber im weiteren Verlauf als genialer Kunstgriff. Was ist Wahrheit? Und was wäre die Wahrheit in der Liebe? Können wir sie überhaupt erkennen? Diese drei Fragen stehen leitmotivisch über der Inszenierung von Laufenberg/Sosinka. Und durchziehen beide Stücke, die von Thomas Brasch übersetzt wurden. Ein entfesselt aufspielendes Ensemble mit einer überragenden Meriam Abbas als Viola (Was ihr wollt) und als Sonja (Onkel Wanja), machen aus Shakespeares "melancholischer Tragödie" und aus Tschechows Parabel über Langeweile, Versagen und versagter Liebe, ein unübertreffliches Sommertheater.
Die Welt
Illyrien, Shakespeares Traum - und Chaos- Insel, die schlüpfrige Wiese für sein Verwechslungsspiel "Was ihr wollt" umhüllt klassische Harmonie. Es ist die Säulenhalle vom Westflügel der Orangerie im Park Sanssouci. Und weil auch das russische Land de Woinizkis einer Insel gleicht, in deren eherne Ordnung das Chaos der Leidenschaften plötzlich einbricht, spielt Tschechows "Onkel Wanja" gleichfalls dort. Tschechow und Shakespeare (im virtuosem Deutsch von Thomas Brasch), die beiden Größten gleich im Doppelpack, genauer: Schön hintereinander und im Wechsel - eine genialische Idee des Intendanten für das Sommerprogramm des Potsdamer Hans Otto Theaters. Uwe Eric Laufenberg setzt damit den fulminanten Schlußakkord am Ende des ersten Jahres seiner Amtszeit. Deren Qualität lag einerseits in der Konzentration auf saftiges Schauspielerensemble andererseits in der Dezentralisation. Der originelle Nutzung vieler neuer in der Stadt verstreuter Spielstätten. Womit das unter schäbigen Interimbühne und drastischem Besucherschwund leidende Theater trickreich zurück in die Mitte öffentlichen Bewusstseins gerückt wurde: Als stolzes Stadttheater, und nicht etwa als Vorstadtbühne von Berlin. Ist es doch gar nicht lange her, da waren Potsdamer Politiker fast soweit, das mickrige Theater abzuwickeln und für das eingesparte Geld von knapp vier Millionen Euro Taxigutscheine auszuteilen für Theaterfahrten nach Berlin.
Doch der damalige Oberbürgermeister und heutige Ministerpräsident Matthias Platzeck sprach zum Glück ein Machtwort. Inzwischen steht ein prachtvoller Theaterneubau, auf dem man seit Kriegsende wartet, vor der Vollendung: Im Herbst kommenden Jahres wird er, auf sensationellem Grundstück direkt am Ufer der Havel, eingeweiht werden.
Potsdamer Neueste Nachrichten
Doch alle Schauspieler wissen ihre Rollen, die sie in zeitlosen Kostümen von Jessica Karge spielen, in beiden Stücken mit weitgehender Souveränität, Präzision, natürlichem Zauber und tiefgründiger Komik darzustellen. Es gab viel Beifall und Bravorufe.
Berliner Morgenpost,
Total trefflich Onkel Wanja unter dem selben Regie-Duo mit denselben Schauspielern. Da fliegen uns alle Herzensexplosionen messerscharf um die Ohren. Da knallt es, und entsetzt uns: Wie Christian Klischat als Wanja sich bläht zum wüsten Wutanfall gegen den alten mokanten Professor (Günter Junghans) und dessen Literaturschwarten zerfetzt, um dann als rührend depperter, vergeblicher Rosenkavalier vor dessen frischer Gattin Jelena (Adina Vetter) zusammenzufallen wie in nasser Sack. Oder das grausame Rührstück, wie Jelena und ihre Stieftochter Sonja (Meriam Abbas), beide unerfüllt, in Schnapsschweren Morgengrauen ihr Leid fortheulen und weglachen: Ein Häschen wird da unversehens zur Frau, eine Diva zum Hilfeheischenden Hascherl, das dennoch sich aufrafft, Sonja zu trösten mit der wiederum verlogenen Forderung "vertrau mir". Sind doch beide verknallt in der Arzt Astrow (Henrik Schubert), der zwar sein Leben durchsteht, es aber nicht erträgt. - Lauter Orkane im Wasser-, Wodka-, Teeglas. Lauter beinahe tödliche Seelenverletzungen. Bis wieder die Öde, ewige doch Lebenserhaltende Ruhe einzieht nach dem Sturm. Amen. - Und Bravo.